Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
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Das Wohnregal - nur eine Nuance oder städtebauliches Modell?

Ein Wohnhaus in Kreuzberg - Experiment zur Stadtreparatur aus den achtziger Jahren

Die wohnungsbaupolitischen Initiativen des Senats zielten zuletzt ja eher auf ein "Angebot zur Eigentumsbildung". So mit der "Bauausstellung 1999", in deren Zuge im Nordosten der Stadt bis zu 7000 Reihenhäuser entstehen sollten. Laut einem Bericht der "taz" vom 13. Januar 2000 steht das Projekt nun "auf der Kippe". Sowohl der neue Bausenator Peter Strieder wie Senatsbaudirektor Hans Stimmann (beide SPD) würden wieder eher auf "Innenstadtentwicklung an Stelle der Außenbezirke" setzen. Schon im letzten Jahr hätten sich Strieder und die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Hämmerling, so die "taz" "gegen das Konzept der Bauausstellung gewandt, weil das umstrittene Eigenheimprogramm auf Kosten der innerstädtischen Stadtreparatur, des sozialen Wohnungsbaus und der Grünflächen" gehe.

Ganz anders war das noch bei der "Internationalen Bauausstellung Berlin", der "IBA 1987". In der ging es um die Sanierung und Rekonstruktion von Kreuzberg - Stadtreparatur eben. Ein Beitrag von vielen war das Wohnregal, daß schließlich in der Admiralstraße 16 in der Nähe des Landwehrkanals verwirklicht wurde.

Gestapelte Schuhkartons

Das Haus in der Admiralstraße war in praktisch allen Punkten ein Gegenentwurf zum Eigenheim im Grünen: Eigentümer ist bis heute die Selbstbaugenossenschaft Berlin e.G - eine Garantie dafür, dass mit dem Haus nicht spekuliert werden kann. Die Bewohner sollten in ihrem Viertel gehalten werden und eben nicht in die Eigenheime am Stadtrand fliehen und dort für die weitere Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft sorgen. Ein Anliegen, das besonders zu Westberliner Mauerzeiten jedem einleuchtete. Deshalb ging es auch darum, möglichst wenig Grundfläche für möglichst viele Wohnungen zu verbrauchen - ohne ein Hochhaus zu bauen. Beim Konzept des "Regals", entwickelt von den Architekten Peter Stürzebecher, Kjell Nylund und Christof Puttfarken, wurden in ein Gerüst aus Stahlbetonfertigteilen die einzelnen Wohnungen hineingebaut. Im Rohbau sieht das aus wie ein Regal mit Fächern, daher der Name "Wohnregal". Diese "Schuhkartons", wie sie auch scherzhaft genannt wurden, konnten dann von den zukünftigen Bewohnern individuell selbst ausgebaut werden. Zusammen mit den Architekten erarbeiteten sie die Grundrisse - jede der zumeist zweigeschossigen Einheiten hat eine andere Raumaufteilung. Die Reihenhäuser, die sonst in den Vororten gebaut wurden, mitten in der Stadt quasi aufeinanderzustapeln - das war die Idee dahinter. Finanziert wurde das Ganze durch den damals noch existierenden "1. Förderweg" des sozialen Wohnungsbaus, was bis heute für niedrige Mieten sorgt. Im Moment kostet eine 115 qm große Wohnung im Haus 1200 Mark brutto kalt (d.h. mit Nebenkosten, aber ohne Strom und Heizung).

1984 gab es in Kreuzberg noch den Plan, einen Autobahnzubringer zum Moritzplatz zu bauen. Der Verkehr auf dieser Stadtautobahn wäre direkt hinter dem heutigen Genossenschaftsbau vorbeigerauscht. Mit der Altbau-IBA 87 unter ihrem Leiter Hardt-Waltherr Hämer dachte man um. Das Grundstück in der Admiralstraße schien den IBA-Planern besonders geeignet für das Konzept des Wohnregals mit der "Selbsthilfe auf der Etage". Die Selbstbaugenossenschaft Berlin e.G. wurde 1984 eigens für das Projekt gegründet und war damit die erste Wohnungsbaugenossenschaft, die nach 1945 für ein kollektives Neubauprojekt entstand. Der Architekt Peter Stürzebecher war selbst eines der Gründungsmitglieder und bevorzugt bis heute für solche Projekte die Form eines Vereins oder einer Genossenschaft. Die Verbindung von sozialem Wohnungsbau und Eigentumsbildung, wie es für die "Bauausstellung 1999" geplant war, findet Stürzebecher "nicht so glücklich".

Ein Stück Privatleben abzwacken

Die zukünftigen Bewohner der Häuser mussten ein Eigenkapital von 12-15 000 Mark pro Wohnung aufbringen (und noch einmal die gleiche Summe durch eigene Arbeitsleistung), das Geld floss aber in die Genossenschaft. Die Mieter sind bis heute nur Nutzer der Wohnungen. Wenn sie ausziehen, bekommen sie das Geld von der Genossenschaft bzw. den neuen Nutzern zurück, die Wohnung selbst bleibt Eigentum der Genossenschaft. Auszüge gab es in all den Jahren jedoch kaum, die Bewohner scheinen sich in "ihrem" Haus bis heute wohl zu fühlen. In acht von zwölf Wohnungen leben noch die ursprünglichen Selbstbauer. Nur in den WGs, für die einige der Wohnungen von Anfang an konzipiert wurden, war die Fluktuation höher. Hauptsächlich wegen "veränderter Lebenssituationen", sagt Pit Bruns, der damals mitgebaut hat und bis heute in einer Maisonette-Wohnung im Obergeschoss des Hauses lebt.

Bruns ist selbst Architekt und kam als Mitarbeiter im Büro von Peter Stürzebecher zu dem Projekt. Die Bauzeit war hart, erinnert er sich. Statt der veranschlagten sechs dauerte es vierzehn Monate, bis die Wohnungen im Juli 1986 endlich bezogen werden konnten. Jeder der Selbsthelfer war über diesen Zeitraum bis zu 20 Stunden in der Woche mit Bauen beschäftigt - "nebenher" musste noch der Lebensunterhalt verdient, Kinder versorgt und vielleicht auch noch ein Stück Privatleben abgezwackt werden. Laut Bruns wurde eine "maximale Selbsthilfeleistung" erbracht. Das lag daran, dass die Selbsthelfer sogar beim Rohbau mit anpackten - bei den Geschossdecken und Teilen der Fassade, die nach skandinavischem Vorbild aus Holz bestehen. Bei einem späteren Neubau der Genossenschaft in der Stresemannstraße, der auch noch auf die IBA zurückgeht, waren die Geschossdecken dann wieder aus Beton.

Prototyp mit Kinderkrankheiten

Der Bau in der Admiralstraße war ein Prototyp, und Konflikte entstanden nicht nur aus der doppelt so lang wie angekündigten Bauzeit, sondern auch, so Pit Bruns, aus den Vorstellungen der Entwerfer und deren Finanzierbarkeit. Die planenden Architekten wollten eben alles so schön wie möglich machen, unter anderem mit einem Dachgarten und Wintergärten vor jeder Wohnung. Die Bauleitung und die Genossenschaft mussten im Gegensatz dazu darauf achten, die durch die Wohnungsbaukreditanstalt (WBK, heute IBB - Investitionsbank Berlin) vorgegebenen Baukosten nicht zu überschreiten. Letztendlich hätte man sonst die Förderung und damit das ganze Projekt gefährdet. Zum Schluss, sagt Bruns, musste an allem gespart werden. Materialien, Türen, alles wurde nach dem Billigsten durchforstet, um das Haus finanzierbar zu machen.

Das Wohnregal ist übrigens auch heute, mehr als 13 Jahre nach der Fertigstellung, noch nicht abbezahlt. Ursprünglich gab es eine Förderung auf 15 Jahre, die Genossenschaft hofft im Moment auf eine Nachförderung für weitere fünf Jahre ab 2001. Die Wohnmiete eines Neubaus, erklärt der Architekt Bruns, würde heute wie damals etwa 30 DM/qm betragen; das meint, die Baukosten verteilt auf den Förderzeitraum von 15 bis 20 Jahren. Die Bewohner des Wohnregals zahlten anfangs eine Miete von 7 DM/qm, 23 von 30 Mark kamen also aus dem Fördertopf oder wurden durch Selbsthilfe erbracht.

Bis zum Ende der Förderung werden die Mieten auch von der IBB festgelegt, danach kann die Genossenschaft sie dann bestimmen. Dies je nach ihrer Politik: Beschränkt man sich auf die Verwaltung des vorhandenen Bestandes, können nach Abzahlung der Häuser die Mieten sehr niedrig gehalten werden. Will man dagegen weitere Projekte fördern oder initiieren bzw. das Kapital der Genossenschaft erhöhen, sind die Mieten entsprechend höher.

Das Wohnregal wiederholen

Die Selbstbaugenossenschaft, so Vorstandsmitglied Dirk Eicken, wird aber wohl noch wachsen müssen. Heute besitzt sie circa 180 Wohnungen und kämpft wie alle kleinen Genossenschaften damit, dass sie sich erst ab etwa 350 Wohnungen selbst trägt. Das heißt, erst dann können die Verbandsprüfung und die laufenden Verwaltungskosten aus den Einnahmen bezahlt werden, man kann sich mehr als eine bezahlte Bürokraft leisten und den Vorstand und die anderen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen entlasten. Neubauten plant die Genossenschaft aber keine mehr, zu den heutigen Förderbedingungen sei das für eine kleine Genossenschaft kaum finanzierbar. Inzwischen konzentriert sie sich auf die Sanierung von Altbauten. Auch Pit Bruns hält das Wohnregal allenfalls für eine "Nuance" der Baugeschichte. Das Gebäude habe in die Zeit, das Viertel etc. gepasst, sei aber kein Modell für zukunftsweisenden Städtebau, auch nicht in Selbstbeteiligung.

Der Architekt Peter Stürzebecher meint dagegen, dass ein "Projekt Wohnregal" auch unter den heutigen Bedingungen des sozialen Wohnungsbaus noch möglich sei. Er selbst würde nach wie vor die Rolle des Entwerfers beim einem solchen Vorhaben übernehmen. Das Problem sei, dass die Banken bei Genossenschaften oder Vereinen oft nicht genügend Vertrauen hätten und bei deren Plänen gleich mit der "Kostenkeule" kämen - das sei doch viel zu teuer. Dabei gebe es, so Stürzebecher, in Wirklichkeit große Spielräume beim Bauen in Deutschland. So fördere die Stadt Hamburg, wo er seit acht Jahren sein Büro hat, den sozialen Wohnungsbau mit 2800 DM/qm, während es in Bayern nur 1600 DM/qm seien.

In Hamburg hat Stürzebecher in den neunziger Jahren noch einmal versucht, ein Wohnregal zu verwirklichen, den "Markthof" im Schanzenviertel. Die zukünftigen Bewohner hatten sich hier in einem Verein organisiert, der Baugrund war städtisch, Bauträger sollte die "Steg" werden, die "Stadterneuerungsgesellschaft Hamburg". Vor zwei Jahren aber sei das Projekt gestoppt worden. Das Problem sei gewesen, dass die "Steg" die Rolle eines Schiedsrichters zwischen den finanziellen Möglichkeiten des sozialen Wohnungsbaus und den Ansprüchen der Bewohner bekommen habe. Das hört sich dann doch bekannt an.
Bernd Hettlage

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