Ausgabe 01 - 2000 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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Nur noch ein Fall für ArchäologenDas Ahornblatt wird abgerissenDas Schicksal des Ahornblattes auf der Fischerinsel ist besiegelt: Es wird abgerissen. Das Bezirksamt Mitte hat kurz vor Weihnachten 1999 mit der Unterzeichnung eines städtebaulichen Vertrages mit der Objekt Marketing Gesellschaft (OMG) den Weg frei gemacht für eine Blockrandbebauung entlang der Gertraudenstraße. Wohnungen, Büros, ein Supermarkt und ein Hotel sollen hier entstehen. Damit sind auch die Pläne für ein Bürohochhaus auf der Fischerinsel endgültig vom Tisch. ![]() Enormer Verwertungsdruck aufgebaut Vorangegangen ist ein jahrelanges Tauziehen um die Fischerinsel und ihren markanten Kopfbau. Die Oberfinanzdirektion des Bundes (OFD) hat den Wert des Grundstücks, auf dem das Ahornblatt steht, mit 29 Millionen Mark beziffert und mit einer Zusage über eine dort zu errichtende Bruttogeschossfläche von 28 000 Quadratmetern an den Investor OMG verkauft. Strieders Planwerk Innenstadt machte die städtebaulichen Vorgaben: dichte Blockrandbebauung auf historischem Stadtgrundriss mit hohem Wohnanteil. Das Ahornblatt war darin "überplant". In die Breite statt in die Höhe Mittes damalige Baustadträtin Karin Baumert (für PDS) versuchte das Ahornlatt trotzdem zu retten, indem sie im Frühjahr 1998 der OMG den Bau eines Bürohochhauses neben dem Ahorn-blatt genehmigte. Die zugesagte Baumasse sollte in die Höhe gestapelt werden, das Hochhaus sollte sich in die heutige Struktur der Fischerinsel einordnen. Damit düpierte sie Strieder und das Planwerk, aber auch im Bezirksamt Mitte regte sich heftiger Widerstand: Baumert wurde abgewählt. Pikant ist, dass ihr Nachfolger im Amt des Baustadtrats, Thomas Flierl (PDS), der sich mit seinem Einsatz für den Erhalt von Bauten der DDR-Moderne profiliert hat, nun mit seiner Unterschrift das Ahornblatt zum Abriss freigibt. In seiner Entscheidung musste er das inzwischen rechtskräftige Planwerk berücksichtigen. Im Gegenzug habe er die Bebauung der Südostspitze der Fischerinsel verhindern können. Auch seien Wohnungen im Gegensatz zu Büros die angemessenere Nutzung für die Fischerinsel, so Flierl. Kaum Verteidiger Aufgeschreckt durch den bevorstehenden Abriss des Ahornblattes organisierte die Berliner Architektenkammer eine Diskussionsveranstaltung. Kammerpräsident Cornelius Hertling hat in dieser "schaurigen Situation" eine "Beseitigungs- und Vernichtungsstrategie" ausgemacht, die Hoffnung für das Ahornblatt aber noch nicht aufgegeben. Der Architekturkritiker Wolfgang Kil stellte fest, dass das Ahornblatt es schwerer habe als andere bedrohte Denkmale. Weil nur wenige das Gebäude genauer kennen, gibt es kaum Verteidiger. Auch die Frage der Gebäudenutzung ist schwierig. Die OFD ist immer von einer Gaststättennutzung ausgegangen, doch die wird sich bei der ausufernden Raumnutzung nie rechnen, so der Präsident der OFD, Ingo Trendelenburg. Eine dichte Blockrandbebauung sei daher zwingend, und die wäre mit dem Ahornblatt nicht möglich. Dem widersprach der Stadtplaner Harald Bodenschatz: Im Rahmen der Planwerksdiskussion hatte er einen Entwurf vorgelegt, der das Ahornblatt mit einer Blockrandbebauung verbindet. Diese Baumassenverteilung ist nur nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Raub des baulichen Erbes Die rein ökonomische Sichtweise der OFD empörte die versammelten Architekten und Denkmalpfleger. Der Wert eines Gebäudes sei nicht allein sein Preis oder die zu erwartende Rendite. Besonders zornig wandte sich Hardt-Waltherr Hämer, die graue Eminenz der behutsamen Stadterneuerung, dagegen, wie der Denkmalschutz als Verhandlungsmasse verschachert wird. Er beschuldigte die OFD, nicht das öffentliche Interesse zu vertreten und gesellschaftliche Werte zu zerstören. Unter Beifall bezeichnete es Hämer als "skandalös und demokratiezerstörend", wie die Gesellschaft ihres baulichen und kulturellen Erbes "beraubt" werde. Eineinhalb Jahre zu spät Die Versammlung verabschiedete zum Schluss eine einstimmige Resolution zum Erhalt des Ahornblattes, auch wenn sie wohl kaum noch etwas nützen dürfte. "Diese Diskussion hätte vor eineinhalb Jahren stattfinden müssen", konstatierte Thomas Flierl. So ist das Ahornblatt nur noch ein Fall für Archäologen: Vor dem Abriss werden auf dem Gelände Grabungen durchgeführt, um nach Überresten der mittelalterlichen Stadt Cölln zu suchen. Zur Übernahme der Grabungskosten von 700 000 Mark hat sich die OMG ebenso vertraglich verpflichtet wie zur Erstellung einer umfangreichen Dokumentation über das Ahornblatt.
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