Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
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Massive Musik für die Massen

"It has to start somewhere, it has to start sometime. What better place than here? What time than now?" Das ist kein Statement der Jungen Union zur Parteibestechungsaffäre, sondern eins in Sachen Selbstbemächtigung von Rage Against The Machine.

Mit ihrem zweiten Album nach ihrem furiosen Debut von 1992 hat sich an der Haltung von RATM nichts geändert. Nach wie vor ist die Musik aggressiv, Zack De La Rochas Gesangsrap verstörend und die Texte samt Systemkritik sind immer noch treffend. Allerdings beschleicht einen das Gefühl von Revolutionsattitüde im Kapuzenpulli und nicht zuletzt deswegen bleibt beim Hören von The Battle of Los Angeles (Epic) ein etwas trockener Nachgeschmack.

Mit diesem revolutionären Gestus schlägt sich Ferris MC erst gar nicht herum, dafür pflegt er seine verkorkste Jugend und kultiviert Realness. Schick ist, dass er damit so ziemlich alle glattgebügelten deutschen Rapper von der Bühne fegt. Nachdem sich im deutschen HipHop entweder alles um Styles und Rhymes drehte und Sternchen aus den Vorabend-Soap-Operas die Charts stürmten, zerfetzt Ferris MC auf seinem Mini-Album Asimetrie (Yo Mama/ Zomba) diese aufgesetzte HipHop-Kultur, und das ist allemal ein lobenswertes Unterfangen. Noch dazu wenn er sich mit seinem fetten Plastiksound direkt vorwärts bewegt.

Wenn sich eine Band Kittie nennt und auf dem Cover vier aufgestylte Teenies posieren, die ein wenig wie die jüngeren Schwestern der Spice Girls aussehen, deutet das auf musikalisches Ungemach. Aber anstelle von Design-R´n´B-HipHop spielen Kittie Death-Metal und auch ihre Texte drehen sich weniger um Boy-meets-Girl-Geschichten als vielmehr um (Abzieh-)Bilder, die Männer von Frauen im Kopf haben: "Do you think I´m a whore" oder "Paperdoll" thematisieren die üblichen Klischeevorstellungen und demontieren diese gleichzeitig. Das ist für eine Band von HighSchool-Schülerinnen erstaunlich genug, darüber hinaus ist das Debut Spit (Artemis) aber auch musikalisch gelungen. Abgesehen davon, dass es ziemlichen Spaß macht, zu Death-Metal-Gitarren mal nicht Männer sondern Frauen toben zu hören, beweisen die vier Kanadierinnen, dass sie auch sonst ihre Instrumente beherrschen und nicht nur draufdreschen können.

Ganz im Zeichen der abstrakten Dekonstruktion steht der Sampler Collison Course (PIAS). Die zusammengestellten Breakbeat-Mutationen aus Berlin, London und New York sind radikale Entwicklungen von Drum´n´Bass und Rap. Alle 14 auf dem Sampler vertretenen Projekte kehren aus dem üblichen Electronic-Dance-Bereich die düsteren Seiten hervor.

Herausragendes Beispiel dafür ist "Total Destruction" von DJ Scud & Nomex: In einem bizarren Mix zerlegen sie in einer Art Doom-Ragga Genregrenzen. Zusammengestellt hat diese Ansammlung von elektronischen Bomben (wenn es den Millennium-Bug schon nicht gegeben hat) Kevin Martin. Sowohl in seinen eigenen Projekten (Techno Animal, ICE) als auch mit seinen früheren Samplern (u.a. Macro Dub Infection) hat sich Martin als Kurator des guten Geschmacks und Archivar des musikalischen Widerstands erwiesen.
Marcus Peter

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