Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
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Das Böse am Jägerzaun

Bitterer Alltag am Obersalzberg - "Moloch" von Alexander Sokurow

Eva Braun wandert nackt durch die Hallen des Obersalzberg, hüpft ein wenig auf der Balustrade herum und macht gymnastische Übungen. Einem Spanner mit Fernglas winkt sie freundlich zu. Sie wartet nicht auf den "Führer", der mit seinem Hofstaat einen Wochenendausflug macht. Vielmehr wartet sie auf "Adi", wie nur sie ihn nennen darf. Irgendwann trifft das Pack ein, und es kann das "Böse" privat gesehen werden.

Alexander Sokurow zeigt in seinem Film "Moloch" genau das. Wir sehen, wie spinnenfeind sich die Führungsmannschaft des "Dritten Reichs" eigentlich war, wie banal im Geiste.

Die Gesellschaft trifft sich zum Abendessen, und der Führer räsoniert über die Nützlichkeit von Brennesseln, und daß er in der Ukraine diese anbauen will. Und überhaupt die vegetarische Ernährung. Diese Gespräche sind als die sogenannten "Tischgespräche" auch protokolliert. Jeder zieht über jeden her, jeder der "Untergebenen" hat Angst um seine Stellung, und so gerät die Sitzplatzwahl zum Essen zu einer eher peinlichen Angelegenheit. Dann macht die Gesellschaft einen Ausflug und amüsiert sich wie Bolle. Man denkt unwillkürlich an Kleinbürgerhochzeit und nicht an den titelgebenden Moloch, eine Macht, die alles an sich zieht. Hitler, Goebbels und seine Frau Magda und der Hofschreiber Martin Bormann bemühen sich redlich um Unbeschwertheit, können aber die unterschwelligen Animositäten kaum verbergen.

Eva Braun ist froh über die Abwechslung, die ihr dieser Besuch in ihre Einöde bringt. Und sie freut sich, ihren Geliebten Adi zu sehen, der sich als ein weder zu emotionalen noch zu sexuellen Beziehungen fähiger Mensch erweist. Ein Krüppel, der jedoch kein Mitleid erregt, sondern nur Ekel. Genauso wie das andere Gesocks.

"Moloch" zeigt die Banalität des "Bösen" in beinahe sterilen, theatralischen Bildern. Ein bißchen Nebel, ein bißchen Wagner als Spiegel des Walhalla des kleinen Mannes. Die vorherrschende Stille und Lethargie sind kaum auszuhalten, und irgendwann entfaltet sich ein optischer Sog. Eva sagt irgendwann zu Hitler: "Du hast die Banalität immer gefürchtet. Das ist der Grund, warum du so grausam geworden bist." Viel geholfen hat es wohl nicht.

Eine Frage stellt sich jedoch: Warum muß erst ein Russe kommen, der mit russischen Schauspielern auf deutsch dreht, um so einen Film zur deutschen Geschichte zu machen?
ib

Moloch
Regie: Alexander Sokurow
D: Elena Rufanova, Leonid Mosgovoi, Leonid Sokol
Kinostart: 2. Februar

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