Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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In mir der Rechtsstaat?

Etwas erzählen? Aber ich weiß gar nix. Also gut, ich werde etwas erzählen.

Nicht gerade von Rosa und Karl, aber: Ich bin früher auch immer zum Grab hingepilgert, von meinem Opa, immer im September, der war aber nicht ertrunken sondern an Magenkrebs gestorben. Da gabs auch keine Explosionsdrohungen, keinen Polizeischutz und keine Partei, die sich auf ihn berufen hätte. Obwohl er voller Stolz erzählte, dass er der letzte im Dorf gewesen sei, der nicht den Arm gehoben hätte; und zur Fahne mußte er auch nicht, denn er war kriegswichtig als Meierist. (Das ist der, der den Joghurt macht und den Käse, die Schlagsahne und die gute Butter.)

Und zwei Tage nach seinem Tod standen Vertreter der CDU an der Tür und sagten, wir könnten noch was erben, wenn Opa ihnen was vererben würde... So genau hab ich es auch nicht verstanden; am Ende aber bekamen wir 10.000 Mark in kleinen, gebrauchten Scheinen von Gerhard Stoltenberg überreicht. Seither waren wir Demokraten.

Und noch heute überleg ich manchmal: Was wollte Opa wohl damit erreichen, als er der CDU 2 Mio. vererbte? Ich komm nicht drauf. Vielleicht ging es um Waffenhandel? In Schleswig-Holstein? Muß der Fall Barschel neu aufgerollt werden?

Zu weit hergeholt, denk ich, das glaubt dir keiner. Schreib dich lieber ganz nah an den Alltag ran, das wollen die Leute hören, z.B. gestern Abend, wie wir da in der Kneipe saßen:
Der Schlingensief, sagt einer, wie blöd der ist. Ja, da sind sich alle einig, der Schlingensief ist blöd. Wie gut, dass wir den Schlingensief haben, denk ich, da müssen wir nicht übers Wetter reden. Und der Castorf, der Castorf sieht plötzlich aus wie einer, der dringend aufs Klo muß (GROSS). Und diesen Gesichtsausdruck haben wir nun jahrelang wichtig genommen. (Peymann ist prima, Peymann ist ne Wucht, mit Peymann macht Theater Spaß...) Abspeichern zwischendurch: 1836 Zeichen immerhin. Nur mit einem Ausdruck läßt sich nun am Ausdruck feilen. Ich schicke eine Mail an den Computer meiner Frau. Der steht im Nebenzimmer. Sie hat einen Drucker. (Nur so bleiben die Umlaute erhalten.)

"Nein, Hans, so geht es nicht. Du wolltest doch eine Geschichte erzählen. Das hier sind doch nur die Überschriften der letzten Woche aneinandergereiht. Mal wieder dein Altpapierproblem. Darüber solltest du schreiben."

Meinst du? - Also gut.

Seit einem halben Jahr gibt es in Berlin-Karlshorst keine öffentlichen Altpapiercontainer mehr. Wir sollen uns eine blaue Tonne anschaffen und nochmal bezahlen. Doch nicht mit uns. Das wäre ja gelacht. Seit einem halben Jahr betreiben wir Mülltourismus. Einmal im Monat geht es, den Kofferraum voller āBild´ und āBerliner´, nach Berlin-Mitte. Hier stehen sie noch, die Containerklötze Pappe/Papier.

Ein aufwendiges Verfahren, und ob der erwünschte Spareffekt erzielt wird, ist zweifelhaft. So kann man vielleicht unsere Freude verstehen, als wir auf dem Hof des Baumarktes (nur 5 Minuten entfernt) einen riesigen Papiercontainer entdecken. "Da kannst du doch grad mal vorbeifahren und das Altpapier entsorgen", sagt meine Frau. Gesagt, getan.

Ich roll auf den Hof, da steht der Container, ,Pappe´ hängt ein Schild draußen dran. Doch dann sehe ich, es handelt sich um den Firmencontainer der Firma ,Schnelldruck Kg´.
Da hinten steht der Lagerhilfsarbeiter und wird mich dann möglicherweise anpflaumen, wenn ich versuchen sollte, mein Altpapier in seinen Behälter zu entsorgen. Ich suche einen Parkplatz mit Blick auf den Container und warte. Und warte.

Dämmerung legt sich über das Firmengelände. Fünf Uhr. Feierabend. Die Zahl der Baumarktkunden nimmt jetzt zu, das sollte mir eine gute Tarnung verschaffen.

Um halb acht hol ich den Korb aus dem Kofferraum und schleich mich an. Dann steh ich davor und: Ich kann es nicht.

Ich lad alles wieder ein und fahr nach Haus.

"Wo warst du denn so lang? Bist du das Altpapier los geworden?" - "Nein. Es wäre nicht richtig gewesen. Fast schon illegal. Und es ist mir egal, was die anderen tun, ich möchte mich an die Regeln halten. Ich möchte nicht so cedeeuh werden." - "Du hast dich nicht getraut." - "So könnte man auch sagen. Ich bin halt mehr so´n rechtsstaatlicher Typ."

Hans Duschke

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