Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
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Berlin 1900

Die Ruhe des Friedhofes scheint im Botanischen Garten zu herrschen. Wo es im Sommer grünte und blühte, wo aus wogenden Blütenmeeren tausendfaches, farbensattes Leben lachte und Düfte stiegen, dehnt sich jetzt eine kahle, öde, eintönige traurig drückende Ruhe. An den Tod in seiner heiligen Stille mahnen die kahlen Bäume, die ihr dürres Geäst gespenstisch gegen den Himmel strecken, wie endlose Reihen Leichensteine. Es sind Stecken und Pfeiler, die vergilbte Aufschriften tragen. Hier ruht der Oleanderbaum, hier ein Röslein rot, und dort prunkte einst die Narzisse mit ihrem Silberschimmer.

"Es sieht bei uns traurig aus," sagt Geheimrat Professor Dr. Engler, der Direktor des Botanischen Gartens, "Das hätte ich Ihnen gleich sagen können. Übrigens trägt auch der Umstand daran viel Schuld, dass wir bereits eine große Menge Pflanzen nach Dahlem, Steglitz, wo der neue große Botanische Garten angelegt wird, hinüber gebracht haben. Wir hoffen, dort in vier Jahren fertig zu werden, dann wird aber auch Berlin einen Botanischen Garten besitzen, wie ihn keine Stadt der Welt bald ausweisen kann."

Doch was soll mit diesem Garten hier geschehen? "Das weiß vorläufig kein Mensch. Die großen alten Bäume bleiben auf alle Fälle stehen. Dass somit der Grund parzelliert wird, wer weiß das heute! Wir müssen abwarten, was das Ministerium entscheiden wird." So wandern wir durch den hohen Schnee, der sich wie ein gewaltiges weißes Laken über den Garten breitet. Brodelnde Nebelschleier wabern leise dahin und hüllen Busch und Baum in ihr Grau. Selten ein schwaches müdes Pflänzlein, das man fürsorglich mit schützender Strohhülle umgab, dass der Winter das keimende Werden nicht zerstöre.

Ganz im Gegensatz dazu stehen die Gewächshäuser des Gartens. In ihren Räumen herrscht erquickliches Leben, hier rankt es, blüht und schwellt in ewigem Grün. Wir wandeln unter rauschenden Palmen, in deren Kronen es heimlich summt wie ein ferner Gruß aus ihrer sonnendurchfluteten Heimat. Diese majestätischen Fächer, der Zauber der Tropen, was für gigantische, merkwürdige Formen der Blätter, welch fantastisches Gewirr von Schlingpflanzen. Dazwischen zierlicher grüner, sich nach oben verjüngender Bambus. Unfassbar und merkwürdig: Metallen klingt unser Klopfen daran. Eine Fächerpalme mit Geäst, dort eine Banane mit Früchten, werden sie reif, stirbt der Baum ab, er gibt sein bestes und bezahlt dafür mit seinem Leben.

Die Fauna unserer afrikanischen Kolonien können wir im Kolonialhaus bewundern. Es wird vom Gärtner, Herrn Lembach, verwaltet, der selbst einige Jahre in Afrika verbracht hat. Während er uns herumführt und die einzelnen Pflanzen erklärt, erzählt er auch von einer aussterbenden Palmenart der Südsee-Inseln, die heute zu den größten Seltenheiten gehört. Von einem Offizier des deutschen Geschwaders hat Dr. Lehmbach die Keime erhalten und durch sorgfältigste Pflege zum Blühen gebacht.

In einer Kiste, wohl und warm zwischen Kokosfasern gebettet, liegen diese Keime. Große schwarze Knollen, die ganz eigenartig geformt sind und mindestens 20 Pfund wiegen. Aus der Mitte dieser mächtigen Frucht blüht eine gelbgrüne, daumendicke Schnur, aus der dann der Baum sich entwickelt. Diese überaus seltene Art heißt Ludoicea und bildet den Stolz des Kolonialhauses. Auch die im Wasser keimenden Samen der Victoria regia bekommen wir zu sehen und eine übersichtliche Zusammenstellung kolonialer Nutz- und Zierpflanzen wie Kautschuk-, Gift-, Kola-, Öl- und Fettbäume.

Das Farnhaus besuchen wir dann, wo die buntgestaltigen, wundersamen Farnkräuter und Wasserpflanzen untergebracht sind. Den herrlichsten, entzückendsten Anblick aber bietet uns das Orchideenhaus. Auch hier herrscht jene feuchte Wärme, die nötig ist, um die zarten Blüten über den Winter zu erhalten. Auch hier wandelt man zwischen zierlichen Blumen, die einen feinen Duft ausströmen. Unmöglich, all die Farben zu beschreiben, all die feinen Nuancen und zarten Töne, unmöglich, all die Formen der Blumen festzustellen. Dort ein einfacher Stern, da eine bizarre, langblättrige Blüte, woander sein rosig überhauchter "Frauenschuh". Die wunderbare Stanhopea oculata, deren blühende, frei nach unten hängenden Kelche nach reiner Vanille duften.

Doch hat dieses Orchideenhaus auch seine praktische Bedeutung. Es lehrt den Züchter der Natur zu helfen und neue Formen zu finden, die dann im Handelswert der Orchideen-Kulturen ihren ganz prägnanten Ausdruck finden. So zeigt uns die Skala Preise von 1 Mark angefangen, bis ins Endlose, Unbegrenzte. Nachdem wir noch das Kakteenhaus durchschritten haben, um die verschiedensten Zucht- und Veredlungsversuche zu sehen, betreten wir das Demonstrationshaus, das man als einen Botanischen Garten im Kleinen bezeichnen kann. Hier kann man die Flora der ganzen Erde studieren. Hier bekommen wir auch die fleischfressenden und Fliegen fangenden Pflanzen zu sehen. Die sind von so unscheinbarer Gestalt, dass man ihnen diesen mörderischen Instinkt gar nicht anmerkt.
Falko Hennig

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