Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
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"Schwitzen und möglichst viel Material durch die Gegend schleppen?"

Gesprächsprotokoll mit Bernd Schindler, Finis e.V. (Prignitz)

Wir machen eine Qualifizierungsmaßnahme im Bereich der Landschaftsökologie. Es geht da um acht Leute, die wir eingestellt haben, für die Zusammenhänge und Entstehung der Landschaft zu sensibilisieren und in einzelnen Projekten zu zeigen, wie Landschaft, in der man künstlerisch eingreift, sich in der Wahrnehmung verändert. Unser Ausgangspunkt war ursprünglich die Frage, wie eine Landschaft aussehen würde, in nicht nach den Erfordernissen der Erwerbstätigkeit gestaltet wird. Welche Möglichkeiten der Beschäftigung gibt es und welche Ansprüche stellen wir an eine solche Landschaft? Um sich dieser Frage zu widmen gehört dazu, deswegen sagte ich auch Sensibilisierung, sich erstmal anzugucken, wie diese Landschaft entstanden ist, nicht zufällig, sondern nach ganz bestimmten Kriterien.

Es war nicht unser Ziel eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu machen. Aber wenn man jetzt eine Förderung beantragt, ist dort immer noch das erste Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen, wohlgleich auch auf solchen Ämterebenen bewußt ist, daß es Umbrüche gibt, vorallen Dingen in den traditionellen Arbeitsbereichen. Da ist klar, daß die Aufgaben wie sie heute und früher der Landwirt hat, in Zukunft nicht so erhalten bleiben, daß durch die Produktionssteigerung sehr viele Freiräume entstehen. Es gibt zu viele Flächen, auf denen landwirtschaftliche Produkte erzeugt werden.

Doch nicht nur die Flächen werden frei, sondern auch Lebenszusammenhänge brechen auf und lassen Menschen frei. Es entstehen Brachen, an denen klar wird, was die Arbeit für eine Bedeutung hatte als Lebensinhalt, das verzweigt sich stark bis ins soziale Gefüge herein, man trifft dort seine Arbeitskollegen, die ganze Organisation des Alltags wird weitgehend über die Arbeit getragen.Was man dort tut, wird durch den Arbeitgeber definiert und durch die Erfordernisse, die sich aus den wirtschaftlichen Zusammenhängen ergeben. Es gab oder es gibt die Notwendigkeit, sich dem zu fügen, sonst fliegt man recht schnell raus aus einem Betrieb. Insofern beinhaltet eine Beschäftigung mit dem Thema, was man macht, wenn es keine Arbeit gibt, eine Menge Fragen: Welche Motivation hat man überhaupt aufzustehen, über was will man sich gern unterhalten und was sind eigentlich meine Themen. Das ist erst mal ein sehr langer Prozeß. Das ist für die meisten Leute, auch für mich, erstmal eine sehr unbekannte Situation, in der es darum geht, Kriterien zu entdecken, die man nicht objektiv ableiten kann, wo man erstmal gucken muß, was man eigentlich will. Das ist ein ganz neues Verhältnis zu seiner Welt und zu seinen Mitmenschen.

Dieses ist in einer ABM-Maßnahme natürlich nicht zu lösen, da die Struktur einer Maßnahme dann wieder sehr konservativ ist. Dort kann dieses Verhältnis nicht eigenständig geklärt werden, es ist durch den Rahmen definiert. Die Leute sind bei uns angestellt. Wenn sie nicht kommen, werden sie abgemahnt und müssen mit ihrer Entlassung rechnen. Sie kommen gar nicht in diesen Prozeß, morgens aufzustehen und zu sagen, was will ich heute machen, diese Frage ist von vornherein beantwortet. Es geht in so einer Struktur pünktlich um ´ne Uhrzeit los, die sich rein formal und abstrakt bestimmt. Das sind Einschränkungen, die eine Auseinandersetzung von vornherein begrenzen. Die Möglichkeiten, dort was für sich selber herauszufinden, sind natürlich sehr stark beschränkt.

Hier gibt es sehr viele Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das hat einmal den Hintergrund, daß die Gemeinden einfach nicht viel Geld haben, um bisherige Tätigkeiten und pflegerische Maßnahmen in der Gemeinde über normale Firmen oder über Angestellte auszuführen. Es ist natürlich auch eine Art Lohndumping und eine Förderung, damit bestimmte, nicht rentable Bereiche nicht brachliegen und Ordnungsansprüche einigermaßen gewährleistet bleiben. Eine weitere Motivation ist die Beschönigung der Arbeitslosenstatistik, und dann kommt der soziale Hintergrund dazu. Dort, wo das soziale Gefüge nachhaltig auseinandergesprengt worden ist, werden Leute, egal mit welchen Tätigkeiten, beschäftigt. So kann man sie kontrollieren, und sie sind wieder in einem Alltag etabliert, wo sie nicht das Bild stören. Das ist immer ganz witzig, daß ja auch jeder, der einfach im Dorf sitzt an seiner Bierflasche, auch den Arbeitenden in Frage stellt, sich da immer so´n Zorn, eine Konkurrenzsituation oder ein Konflikt auftut. Dadurch entsteht ein Anspruch, der sich zum Beispiel in einem Dorf so extrem äußert, daß die Leute irgendwas irgendwie schaffen. Es geht gar nicht um die Qualität, oder darum, was das für«n Beitrag für das Dorf ist, ob das einen Sinn macht. Die Leute sollen beschäftigt sein, schwitzen und möglichst viel Material durch die Gegend schleppen, dann ist man schon einigermaßen zufrieden.

Eigentlich geht es darum, herauszufinden, wo denn eigentlich die Motivation der Beschäftigung liegt, welchen Sinn das macht und was für´n Verhältnis man zu dem Ergebnis seines Schaffens hat. Da könnten ABM-Projekte Freiräume bieten. Wenn diese strenge Reglementierung gelockert werden würde, könnten das tatsächlich Experimentierfelder sein, wo ´ne ganze Menge entstehen könnte. Das wär ein Effekt, der auch ´ne positive Auswirkung haben könnte auf diejenigen, die noch in normalen Erwerbstätigkeiten hängen. Wenn sich zum Beispiel jemand dafür interessiert, wie sein Dorf aussieht, wie will ich leben und nicht nur die Idee hat, das Dorf aufzuräumen, sondern, daß etwas entsteht, das ästhetisch ist, sinnlich und Leuten Spaß macht. Dann gäbe es eine Chance, Projekte zu entwickeln, die allerdings ganz andere Zeiträume beanspruchen würden, als das jetzt der Fall ist. Jetzt ist es in dieser Förderungstruktur so, daß der Erfolg daran gemessen wird, wieviel Leute hinterher in ein Arbeitsverhältnis überführt werden. Wenn heute allerdings jemand einfach mal nicht zur Arbeit erscheint, haben viele ein Problem mit der Rechtfertigung.
Aufgezeichnet von:
Juliane Westphal

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  Ausgabe 11 - 1999