Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Eins-A-Frozen-Margaritas, wenig Direktsonne

Das "neue Berlin" ist auch literarisch eine Katastrophe

Die große Euphorie bzw. Befürchtung, Berlin befinde sich nun auf dem Weg zu einer Weltstadt mit bald fünf Millionen Einwohnern, Dienstleistungsmetropole, Olympiastadt und was weiß ich nicht allem, war Anfang der neunziger Jahre schnell wieder verflogen. Einzig zur Bundeshauptstadt hat es Berlin ja dann bedauerlicherweise doch gebracht. Der Immobilienmarkt ist zusammengebrochen, und weshalb immer noch Tausende Quadratmeter an Büroflächen aus dem Boden gestampft werden, können wahrscheinlich nur Fachleute für Wirtschaftskriminalität erläutern. Allein ein Mythos hält sich bis heute mit penetranter Beharrlichkeit - der Mythos von Berlin als dem Nabel der deutschen literarischen Welt und dem Sujet zeitgenössischer Literatur.

Zweifellos verfügt die neue Hauptstadt mit ihren vier Literaturhäusern über ein vielfältiges literarisches Veranstaltungsgeschehen. Das ist aber auch schon alles. Als Verlagsort spielt Berlin trotz der Filialen großer Häuser wie etwa Rowohlt Berlin nur eine zweitrangige Rolle, und daß sich in der Stadt die wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller konzentrierten, kann man eigentlich auch nicht sagen. Das war vielleicht in den sechziger und siebziger Jahren in Westberlin der Fall oder ist es heute in Wien. Noch verhängnisvoller aber ist die irrige, 1989 und also noch vor der großen Berlin-Mode, von Frank Schirrmacher in die Welt gesetzte These, es sei eine Metropole, woran es der deutschen Literatur fehle.

Nun, die Germanistikstudenten aus den westdeutschen Provinzen, und nicht nur die, sind dem Ruf der Möchtegern-Metropole gefolgt und haben ihre Beiträge geliefert. Die Ergebnisse sind, literarisch gesehen, ein einziges Desaster. Neben der Hauptstadt-Euphorie kam Autoren wie Elke Naters, Tim Staffel oder Ralf Bönt nämlich auch die in den Neunzigern vom Buchmarkt verordnete Regression auf altbackenes Erzählen zupaß. Vorbild USA: dort werden lesbare Bücher geschrieben und richtige Metropolen gibt es dort ja auch.

Wie eine Parodie auf die Berlin-Mode in der deutschen Literatur wirkt nun das Debüt der 1967 geborenen Frankfurterin Inka Parei Die Schattenboxerin. Das Photo eines Abbruchhauses auf dem Umschlag stellt bereits klar, worum es gehen soll: um die düstere Schattenwelt in den Hinterhöfen des Großstadtmolochs. Falls man das Buch, nachdem man zur Kenntnis nehmen mußte, daß die beiden Protagonistinnen Hell und Dunkel heißen - die eine ist gleich zu Beginn des Romans verschwunden, die andere quatscht sich als Ich-Erzählerin durch das Buch -, noch nicht entnervt weggelegt hat, kann man auf den 183 Seiten ein beispielloses Klischeefeuerwerk erleben. Ob Inka Parei in ihrer Wahlheimat tatsächlich nur die eigenen (westdeutschen) Projektionen wahrnimmt oder ob sie mit ihrem Buch einfach geschickt den Markt bedient, sei dahingestellt und ist eigentlich auch unwichtig. In ihrem Berliner Bilderbogen aus Kotze, Urin und Hinterhöfen versucht die Autorin eine Kriminalgeschichte anzusiedeln, was ihr allerdings gründlich mißlingt. Dunkel ist verschwunden, und es könnte ihr schließlich etwas passiert sein in dieser gefährlichen Stadt. Nun ja. Dann taucht noch ein gewisser März auf, der auch nach Frau Dunkel sucht und eine Waffe mit sich führt. Aus all dem entwickelt sich aber nichts. Immer nur die gleichen, bereits nach wenigen Seiten enervierenden Bilder: "Wir tasten uns in den Hauseingang, treten in eine Pfütze, es riecht nach hopfengeschwängertem Urin (...)" Als Dunkel am Ende des Buches dann wieder auftaucht, ist das eigentlich auch schon egal. Eingestreut sind außerdem ein paar Reminiszenzen an das Mauer-Berlin und eine Begegnung der Erzählerin Hell mit asiatischer Kampfkunst (Schattenboxerin).

Inka Parei verläßt sich in ihrem Roman auf ein unprätentiöses, letztlich langweiliges Erzählen, und reiht in den 21 Kapiteln somit auch sprachlich/erzählerisch ein Klischee an das andere, ohne irgendwo tiefer einzudringen - ein sogenanntes lesbares Buch. Literarisch hat es nichts zu bieten. So ein "Großstadt-Roman" ist allenfalls ein Symptom, nicht zuletzt dafür, daß dieses historische Genre nicht wiederzubeleben ist.

Neben dem Sehnsuchts-Schmuddelberlin, nach dem gequälte, in der Bundesrepublik aufgewachsene, Neuberliner mit ihrer Seele suchen, gibt es noch das Szene-Berlin, mit irgendwelchen Ostberliner Clubs als Zentrum der narzißtischen Welt - die "Spaßgesellschaft" der neunziger Jahre. Tanja Dückers hat mit ihrem Roman Spielzone das jüngste Beispiel dieses Genres vorgelegt (siehe scheinschlag 8/99). Ein Buch, das allenfalls soziologisches Interesse beanspruchen kann, Antworten liefern mag auf die Frage, mit welchem Selbstbild all die Szene-Wichtigtuer im neuen Berlin ihr Wesen treiben.

Elke Naters, 1963 geborene Münchnerin, deren Debüt Königinnen 1998 noch vom Lokalkolorit der "verrotteten Stadt" Berlin lebte, hat nun mit Lügen ein völlig anspruchsloses, verquatschtes Buch über zwei Freundinnen geschrieben, von denen eine lesbisch wird oder vielleicht doch nicht. Mit ihrem Leben kommen sie beide nicht klar. Die Stadt ist nur mehr eine Kulisse, wo man um die Ecke "Eins-A-Frozen-Margaritas" trinken kann. Das kann man aber in München schon länger.

Bleibt die Hoffnung, daß mit den neunziger Jahren auch die literarische "Generation Berlin" abdankt und an ihre Stelle - vielleicht - eine Generation Bochum oder Eisenhüttenstadt tritt, von der wir uns dann lesenswerte Bücher erwarten dürfen.
Florian Neuner

Inka Parei: Die Schattenboxerin. Roman. Schöffling & Co, Frankfurt am Main 1999, 34 DM

Tanja Dückers: Spielzone. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 34 DM

Elke Naters: Lügen. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 29,90 DM

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