Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
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In the sunny Mission

Das große Aufräumen in San Franciscos Mission District

Der Mission District in San Francisco wurde durch die farbenfrohe Kultur seiner Bevölkerungsmehrheit mit latein-amerikanischen Wurzeln zu einem der lebendigsten Quartiere der Stadt. Dies und die bislang noch vergleichsweise günstigen Mieten zogen in den letzten Jahren auch die Alternativ- und Kunstszene an, doch mittlerweile haben die Yuppies den multikulturellen Reiz des Viertels entdeckt: Die Mieten steigen drastisch. Das große Aufräumen der Stadtplaner und Immobilienunternehmer hat begonnen, und diejenigen, denen der Stadtteil seinen Charme verdankt, leben angesichts der drohenden Vertreibung schon in Gedanken mit gepackten Koffern. Doch nach Jahrzehnten der Verdrängung derer, die nicht ins Bild einer einkommensstarken, vor allem weißen Einwohnerschaft passen, regt sich auch vereinzelt Widerstand gegen die Zerstörung eines der letzten übriggebliebenen "Kleine-Leute-Viertels" dieser Stadt.


Bilder, große, bunte Wandbilder, etliche mit eindringlichen, pathetischen Motiven aus der langen Geschichte latein-amerikanischer Befreiungskämpfe, sind zumeist das erste, das einem beim Gang durch den Mission District auffällt. Viele dieser murials genannten Bilder sind außerdem Ausdruck der aktuelle Lebenssituation lateinamerikanischer Einwanderer in San Francisco.

An einer U-Bahn-Station thematisiert ein murial die Auswirkungen des in den achtziger Jahren erbauten U- und Stadtbahnsystems: Mit dem Bau dieses überdimensionierten Projektes begann die Aufwertung des Stadtteils. Durch die bessere Verkehrsanbindung wurde der Mission District als Wohnort attraktiver.

So zogen nun auch besserverdienende Menschen in den Stadtteil ein, während gleichzeitig viele Künstler, Studenten und alternative Projekte hier ihre Nischen fanden. Dennoch hat über lange Jahre der Stadtteil seinen Charakter erhalten, die Veränderungen ging nur sehr subtil voran. Auf den Haupteinkaufsstraßen des Districts, der Mission Street und der 24th Street, fühlte man sich beim Flanieren unter den Palmen zwischen den mexikanischen Burrito-Restaurants und den Gemüseläden und Bäckereien voller exotischer Leckereien immer noch mehr in Lateinamerika als in einer nordamerikanischen Großstadt. Englisch war auch hier eine Fremdsprache, Gesprächsfetzen auf Spanisch füllten die Luft in dem geschäftigen Treiben auf den Gehsteigen.

Die Gangart der Verdrängung wird härter

Doch in den letzten zwei bis drei Jahren wurden die Veränderungen dramatischer, besonders bei einem nächtlichen Gang um die Häuser fallen die vielen neueröffneten Bars und Clubs mit Trauben junger, trendbewusster Partypeople auf den Gehsteigen davor auf. Es ist hip geworden, im Mission District auszugehen.


In den Immobilienteilen der Zeitungen gelten mittlerweile bei Vermietungen oder Verkäufen von Häusern und Wohnungen Slogans wie "in the sunny Mission" als verkaufsfördernd. In der Tat ist der Mission District im Vergleich zu den mehr zum Pazifik gelegenen Stadtteilen und der Innenstadt von San Francisco immer mit etwas wärmeren Temperaturen gesegnet. Während, ganz entgegen dem Klischee der Stadt unter ständigem kalifornischen Sonnenschein zu liegen, große Teile der Innenstadt in Nebel eingehüllt sind, scheint im Mission District meistens die Sonne. Diese klimatischen Vorzüge, die mitterweile guten Verkehrsanbindungen, und der nicht zu unterschätzende Reiz eines multikulturellen Stadtteils mit einer ausgeprägten bunten, alternativen Kulturszene haben den Stadtteil zu einem der lukrativsten Gebiete für das Immbiliengeschäft gemacht.

Die Verdrängung geht dabei nicht mehr schleichend voran, sondern nun wird mit eisernem Besen aufgeräumt. Auf bislang unbebauten Flächen entstehen sogenannte Live and work units - eine Kombination aus Wohnung und Büro für junge Kreative, vor allem aus dem Computerbereich. Auch zahlreiche alte Fabrik- und Gewerbebauten, von denen viele - sofern sie nicht noch produzierendes Gewerbe beherbergen - Künstlern als Atelier und Wohnraum dienten, werden nun in teure Loftwohnungen umgewandelt.

Das Cell Center, ein Kulturzentrum, das sich auch stark in der Stadtteilarbeit engagiert, ist umgeben von umgewandelten Fabrikbauten, in deren Erdgeschossräumen sich schicke Bars oder Sushi-Restaurants angesiedelt haben. Ein langjähriger Mietvertrag schützt das Cell Center zur Zeit noch vor dem begehrlichen Zugriff der Immobilienspekulanten. "Doch", so erzählt ein Mitarbeiter des Zentrums, "es vergeht kein Tag, wo nicht Immobilienunternehmer in teuren Autos hier auftauchen, das Gebäude inspizieren und dem Vermieter, der im gleichen Block eine Fabrik betreibt, enorme Summen für das Gebäude bieten. Das Problem ist, dass seit einigen Jahren viele aus den sterilen Vororten, vor allem aus Silicon Valley, wieder in die Stadt ziehen wollen, und zwar in die Stadtteile, in denen sie die ,coolen´ Leute vermuten."

Latenter Rassismus der neuen Bewohner

Dass dieser Neo-Kolonialismus genau das systematisch zerstört, was den Stadtteil für die wohlhabenden, zumeist weißen Neuzuzügler so anziehend macht, und den "coolen" Leuten die Tür weist, scheint dabei kein Problem zu sein.

Viele der farbigen Bewohner des Stadtteils fühlen sich einem rassistisch motivierten Dominanzgebaren der neuen Herren im Stadtteil ausgesetzt. Die afroamerikanische Fernsehjournalistin Taigi Smith lebte lange im Mission District. Sie schreibt in den New Mission News, einem engagierten Lokalblatt, über ihre Erfahrungen mit den Veränderungen im Stadtteil: "Ich erinnere mich an meine Kindheit als 8-jähriges Mädchen, wir lebten in diesem Block, umgeben von Autowerkstätten und Einfamillienhäusern im Herzen von Mission, dem Boxenstop für die großen Hoffnungen und großen Träume der Latinos Amerikas. 1996, nachdem ich nach Brooklyn gezogen bin, besuchte ich den Stadteil wieder. Doch ich fühlte mich plötzlich gefangen in einem fremden Ort, gefüllt mit weißen Gesichtern und trendy Bars. Die Leute wurden in Rekordzahlen aus dem Stadtteil vertrieben, um Platz für Yuppies zu machen, die enorme Mieten zahlen, nur um an einem Ort zu wohnen, von dem zu lesen ist, er sei einer der angesagtesten Wohnorte in Amerika. Die eisigen Blicke der neuen Bewohner scheinen mir sagen zu wollen: ,Was hast DU hier noch zu suchen?´ Ich war drei Jahre fort, nun bin ich, die hier aufgewachsen ist, das schwarze Mädchen, das hier herumhängt, den Leuten suspekt. Die neuen Mieter kennen mich nicht, es spielt keine Rolle, dass ich 20 Jahre in diesem Gebäude gelebt habe. Für sie bin ich nur ein weiteres braunes Gesicht, das sie am liebsten loswerden würden. Es ist das Boshafte, das sich hinter den Martini-Bars und schicken Sushi-Bars versteckt, das mir Angst macht. Es ist der Blick der sagt: ,Wir sind bereit, diese Nachbarschaft zu übernehmen, zu jedem Preis.´"

Verlangen, was der Markt hergibt

Mitterweile ist die Angst vor Räumungen im Viertel allgegenwärtig. Gerade Menschen, die in attraktiven Häusern oder Wohnungen mit noch vergleichsweise günstigen Mieten leben, werden regelmäßig von Freunden oder Bekannten gefragt, wann sie denn mit einer Räumung rechnen. Die allerdings ist allerdings auch nach kalifornischem Mietrecht nicht so einfach durchzusetzten: Mieterhöhungen sind bei bestehenden Mietverträgen nur sehr eingeschränkt möglich, genauso die Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter. Doch gibt es die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung. Und da ein Großteil der Menschen in San Francisco in Ein- oder Zweifamillienhäusern lebt, wird davon reichlich Gebrauch gemacht: Ein Haus wird verkauft, der neue Eigentümer gibt vor, selbst in das Haus einziehen zu wollen, die alten Mieter werden herausgeklagt, der neue Eigentümer "wohnt" pro forma einige Wochen in dem Haus und vermietet es teuer weiter, denn bei Neuvermietungen sind vom Gesetzgeber keine Grenzen gesetzt. Es kann verlangt werden, was der Markt hergibt, im Mission District bedeutet das mittlerweile enorm hohe Gewinnspannen in diesem Geschäft. Auch über Modernisierungsmaßnahmen - etwa die lokale Besonderheit, Gebäude erdbebensicher machen zu müssen - wird versucht, durch ständigen Baustress Altmieter zu vergraulen.

Wut gegen Wucher

Doch mittlerweile wollen einige dieser Entwicklung nicht weiter tatenlos zusehen. Unter anderem im Cell Center treffen sich Menschen, die versuchen Widerstand gegen die Vertreibung aufzubauen.

Plakataktionen unter dem Motto "Rage against rent" - Wut gegen Mietwucher - und ein Protestmarsch der Zwangs-geräumten vor das Rathaus wurden organisiert. San Franciscos größte Mieterorganisation fordert außerdem in ihrem Informationsblatt stadtweit zur Aktion "Homes not Bombs" auf, in der geräumte und nun leer stehende Häuser besetzt werden sollen - Adressen geeigneter Objekte werden öffentlich bekanntgegeben.

Nach Jahren der Umwandlung dieser Stadt zu einem internationalen Geschäftszentrum und der damit verbundenen systematischen Vertreibung all derer, die nicht in solch ein Konzept passen, scheinen die Bewohner der letzten Orte, in denen das Leben nicht ausschließlich von den Regeln des Big Business bestimmt ist, diese nicht kampflos aufgeben zu wollen. Auch Taigi Smith schreibt hoffnungsvoll in den New Mission News "Ich bete, dass die übriggebliebenen ,Old Timers´ an ihren Pachtverträgen festhalten, daß Menschen sich weigern, ihr Eigentum zu verkaufen, und dafür kämpfen, ihre kleinen Geschäfte offen zu halten, wenn die Entwicklungsgesellschaften mit ihrem starken Arm nach ihnen greifen wollen."
Text + Fotos:
Michael Philips

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