Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
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Spur der Filme

Über die Verwaltung der DEFA-Hinterlassenschaft

Ich war neugierig und fragte Menschen um den Hackeschen Markt herum, wo die "Börse" sei. Mal wurde mir freundlich der Weg gewiesen, mal bekam ich die schlappe Antwort: "Börse, soll das «ne Kneipe sein?" Andere wußten, daß sie in dem Kino immer "Paul und Paula" spielen.

Also ging ich in die Burgstraße 27, ich wußte ja, wo ich hinwollte. Ein vierstöckiges Haus, direkt am Spreeufer gegenüber der Alten Nationalgalerie gelegen. Dieses Haus ist die DEFA Adresse schlechthin. Und es beherbergt nicht nur das Kino, sondern auch den Progress Film-Verleih und die Icestorm Entertainment-Gesellschaft. Eigentümerin ist die DEFA-Stiftung, die hier auch ihren Sitz hat. Für alle Besucher gibt es nur einen Eingang. Wer beispielsweise zur DEFA-Stiftung hinaufwill, muß zunächst das Kinofoyer passieren. Ich wollte hinauf, ich passierte das Foyer, nicht ohne auf die auf die Standbilder der DEFA-Filme schauen zu müssen, die gerade auf dem Programm stehen.

Zu DDR-Zeiten befand sich neben dem Progress-Filmverleih auch ein hauseigener Vorführsaal in dem Gebäude. Dort fanden die sogenannten "Abnahmen" von Filmen statt, das heißt: eine Kommission entschied darüber, welche Filme in der DDR in den Kinos liefen und welche nicht. Nach der Wende wurde der Progress Film-Verleih von der Treuhandanstalt übernommen und durfte sogar den traditionsreichen Namen behalten. Seine Funktion änderte sich hingegen. Der neue Auftrag war die Verwaltung des DEFA-Filmbestandes, also über 7000 Spiel-, Dok- und Animationsfilme, die mit dem Siegel DEFA versehen sind. Dabei verfügt Progress verfügt aber nur über deren Verwertungsrechte. Nach 10 Jahren Arbeit in der neuen Bundesrepublik Deutschland ist Progress heute ein fester Partner für Kinos in West und Ost, die ein besonderes Programm anbieten wollen. Man gibt dort aber zu, daß die letzten 10 Jahre schwierig gewesen seien und die nächsten 10 vorraussichtlich nicht einfacher werden. Mit Neuproduktionen wie "Die Braut" oder dem Kinderfilm "Pünktchen und Anton" hatte Progress in letzter Zeit unerwartet einigen Erfolg. Dieser gab den Mitarbeitern neuen Mut. Vielleicht, weil diese neuen Filme in Richtung Zukunft weisen. Mit ihrer eigentlichen Materie, dem Bewahren von Filmgeschichte, die ein Stück ihreres eigenen Lebens ist, fühlen sie sich deshalb nicht weniger verbunden.

Ganz anders geht es bei der vor zwei Jahren gegründeten Icestorm Entertainment zu. Sowohl inhaltlich wie formal. Die Entstehungsgeschichte der Gesellschaft hört sich wie ein Märchen an. Es geht so: Es war einmal in München ein Bayer, der wunderschöne DEFA-Märchenfilme im Keller entdeckte. Er schaute sie sich an und verliebte sich in sie. Und wahrscheinlich auch in die Aussicht, viel Geld damit verdienen zu können, da er mit einer gewissen Nostalgie auf der Ostseite und Interesse an Nicht-Hollywoodkino auf Westseite rechnen konnte. Nun versorgt Icestorm den gesamtdeutschen Markt mit Videos aus der DEFA-Produktion. "Aufbau West" heißt hier die Devise. Eine Parole, die die Ignoranz der westlichen Markthändler dem "Hollywood over the wall" gegenüber, wie die Amerikaner die DEFA nennen, auf die Schippe nimmt. Der amerikanische Markt lockt ebenfalls. Um eine Westerweiterung von Icestorm wird sich schon bemüht.

Die Firmen Progress und Icestorm beschäftigen sich ausschließlich mit der Vermarktung der Hinterlasenschaft der Defa. Die DEFA-Stiftung und das Bundesfilmarchiv, wo die Filme letztenendes gelagert sind, leisten die Arbeit im Hintergrund. Außerdem untersteht dem Archiv die technische Bearbeitung der Rollen, um eine Nutzung erst zu ermöglichen. Die DEFA-Stiftung hat unter anderem die Aufgabe, die Rechtsverhältnisse der Filme zu klären.

Von außen scheint die Zusammenarbeit dieser vier Unternehmen auf einander wohlgesonnener und starker Basis zu funktionieren. Der Weg zur "Börse" ist lang. Zumindest für die Filme. Dem Zuschauer wird es leicht gemacht, es gibt nur einen Eingang.
Sylvain/ib

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