Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wo könntn wir denn heut essen gehen?

Eine Ursache meiner plötzlichen Gewichtsexplosion (Bitte, sprich mich nicht drauf an) ist die regelmäßige Mittagspause mit den Kollegen.

Manche nehmen ja nur eine Milchschnitte zu sich und joggen dann durch den Park und sehen darum auch immer so frisch und dynamisch aus, andere essen "nur schnell einen Salat" - wir aber sind 1. verheiratet und 2. in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt und bestehen darum auf täglich mindestens einer warmen Mittagsmahlzeit. Deftig, kräftig soll sie sein. Und Nachmittags ein Stück Kuchen.

Um halb zwölf meldet sich der erste Kollege zu Wort: "Wo gehen wir denn heut hin?" Eine Entscheidung muß herbeigeführt werden, und: Wer kommt mit? Telefonate werden geführt. Gefragt ist: Diplomatisches Geschick. Eine Lehrküche für sozial auffällige Jugendliche schickt jede Woche die Speisekarte (als Fax): da gibt es Kürbiscremesuppe vorweg oder ZanderLauchSorbet. Mmh, lecker. Außerdem wird unter dem Vorwand, Kellner auszubilden, eine Art Dressur an jungen Menschen vorgeführt; das ist ja immer wieder herzerwärmend anzuschauen. Doch meistens ist uns der Weg zu weit.

Denn Mittagspause, das heißt: Keine Zeit, keine Zeit. 5 Minuten sind es zur Kantine des Hedwig-Krankenhauses. Der Küchenchef veranstaltet gerade seine "Berliner Spezialitätenwoche". Heute gibt es Bulette, Bouillonkartoffel und Salzgurke. Morgen Senfei, Mittwoch Griesbrei, Schmalzfleisch, Jauchetopf.

Vielleicht gehen wir doch wieder in eines der schicken Restaurants rund um den Hackeschen Markt, die bieten doch auch alle ein Tagesgericht für zehn Mark an.

Da kann man jungen Menschen beim Telefonieren zuschauen. Und staunen, daß es Leute gibt, die willig sind, so auszusehen, als kämen sie aus dem Werbewunderland. Wie eine Vogelplage sammeln die sich hier im Bezirk.

Mit den Nachbartischen kann man ein lustiges Beruferaten veranstalten, "Freiberufler, Maßnahme, Verwaltung", rufe ich dann (wie früher "Hund, Katze, Maus").

Und wenn man hinterher fragt, sind sie doch alle in der Werbung oder im Kulturmanagement tätig. Oder Architekten. Oder Stadtplaner. Sozialstatus: Scheinselbständig. Der immer gleiche Blick auf die Uhr, ob noch Zeit für einen Kaffee bleibt.

"Können wir gleich zahlen?" - "?" - "Getrennt."

Nein: Meistens gehen wir doch ins Hedwigs. Diese KantinenAtmo, mit Tablett und Anstehen, die gibt´s woanders nicht. Und da stehen wir drauf, als Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.

Alle das Tagesgericht, dazu Malzbier, Wasser, Orangensaft, Multivitamin. "Piep, piep, piep - guten Appetit" (Ist das noch Mundart, oder schon infantil?) -"Danke gleichschmalz."

Neben mir die Sekretärin der benachbarten Abteilung, die nur zu gern von ihrem aufregenden Nachtleben erzählt. Es will nur keiner hören.

Ihr gegenüber die passionierte Mutter. In kürzester Zeit unterhalten sich die beiden über Männer. Wie blöd die manchmal sind. Und auch wie niedlich. "Meiner hat vor kurzem - ich weiß noch, da mußten wir so lachen - da hat der sich mit dem Hammer also dermaßen auf den Finger..." Lustig, niedlich und auch blöd.

Und die Frauen stellen mal wieder fest, daß sie ja eigentlich alles besser können. Und warum sitzen sie denn im Sekretariat und die Männer auf den Leitungspositionen?: Das ist doch nur, weil die Frauen nicht so egoistisch sind. "Wir Frauen müssen auch mal an uns denken, nicht nur immer an die anderen.
- Stimmt´s nicht, Hans?"
"Ja, genau, da habt ihr ganz sicherlich recht", gebe ich schlagfertig zur Antwort.
"Walter, was ist mit dir?"

Walter, unser homosexueller Mitarbeiter zuckt kurz horizontal mit dem Kopf und beginnt dann weitschweifig über die Qualität des Essens zu referieren, da sei der Weisheit letzter Schluß noch nicht gefunden, und jeden Tag ins Restaurant, das sei ihm auch zu teuer, und im Amt gebe es doch auch eine Küche...

Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat, aber die Damen waren Feuer und Flamme und jeweils 2 wollen nun - in regelmäßigen Abständen - uns bekochen. Schön blöd wären wir, wenn wir es zulassen würden, daß solche fähigen Mitarbeiterinnen befördert werden würden. Nein, sie sollen dort bleiben, wo sie sind und uns das Leben schön machen, dachte ich (doch nur im Scherz).
Hans Duschke

Was wohl Bov Bjerg dazu sagt?

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