Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Berlin 1899

18. November bis 15. Dezember

In Berlin gibt es außer der slawischen, der französischen, italienischen, spanischen und englischen Vereinigung gleich zwei, welche die in Berlin lebenden amerikanischen Bürger repräsentiert. Das sind die englisch-amerikanische Kolonie und die deutsch-amerikanische Gesellschaft, die "German-American Society". Die hiesigen Amerikaner haben ihren Mittelpunkt in der hiesigen Gesandtschaft mit ihrem Präsidenten Andrew White. Deutsche in Amerika haben allerdings ihre Probleme mit den Yankees. Wohl erreichen sie das amerikanische Bürgerrecht und sprechen das Englische bald fließender als ihre Muttersprache, trotzdem bleiben die Deutsch-Amerikaner ein Volksstamm für sich.

Kanaka-aha! lautet der Schlachtruf der Kanakia, einer neuen originellen Blüte des Berliner Vereinslebens. Jeden Freitag verkünden um Mitternacht drei Gongschläge den Beginn der "Schauris", die in einem zum "Kraale" degradierten Restaurant stattfindet. Wann die humoristischen Vorträge, Quartette und Sologesänge enden? "Nur Helios vermags zu sagen, der die Heimgehenden bescheint." Wer die Kanaken sind, der Kundige erkennt in dem schwarzbärtigen "Lupus dem Plattenhahn" unter dem Baldachin den Vater der so lange stuhllosen Hulda. Der lächelnde Ceremonienmeister ist der "Stettiner Sänger" Fritz Steidl, dessen Brüder Robert und Otto ebenfalls anwesend sind. Krone, Meysel, Werner, Schrader, Kirchmayer, Schneider, Böckmann, lauter lustige Sangesbrüder vereint das Gruppenbild der Kanaken mit Herren aus der besten Gesellschaft, und wieder ertönt der Ruf: "Kanaka-aha!"

Ein ungewohnter Anblick ist Berlin im Schnee. Die ungewöhnlich milden Winter der letzten Jahre hatten den Reichshauptstädter dieses Anblicks schon ganz entwöhnt. Doch der Schnee ist ein ordnungswidriges Element für die große Stadt. Eine Legion von Arbeitskräften mit Kratzeisen, Schaufeln, Besen und Streusalz rückt ihm zu Leibe. Schnell ist die weiße Kappe der Berolina schmutzig-grau geworden, nur auf den Dächern prangt der Schnee noch in unschuldigem Weiß.

Die Berliner Illustrirte Zeitung erinnert wegen des heraufziehenden Neuen an die populärsten Männer Berlins im gerade endenden 19. Jahrhundert. Die Philosophen Fichte und Hegel sind dabei, die Schauspieler Ludwig Devrient und Theodor Döring wie auch der Generaldirektor der Königlichen Schauspiele August Wilhelm Iffland. Der Prediger Schleiermacher, der Bildhauer Johann Gottfried Rauch, Alexander von Humboldt, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Generalfeldmarschall Friedrich Heinrich Ernst Graf Wrangel, und schließlich der Chirurg Bernhard von Langenbeck und der Führer der Demokratie Benedikt Waldeck.

Der Wusterhausische Bär gehört zu den historischen Berliner Bauwerken, die zwar dem erweiterten Verkehr weichen mussten, aber an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden. Seinen neuen Platz hat das Bauwerk dort, wo gerade der Neubau des Märkischen Provinzialmuseums errichtet wird. Friedel schrieb dazu:
"Wehr heißt im mittelalterlichen Latein berum, daraus entstand korrumpiert "Bär", das französische batordeau. Das Wehr des Grünen Grabens erhielt den Namen "Wusterhausischer Bär", weil er auf einer prinzlichen Besitzung lag, welche unter der Amtskammer in Wusterhausen stand." Heute umgeben Bäume und Sträucher das Bauwerk, im Inneren werden Gartengerätschaften aufbewahrt. Auch dient es dem Wärter der Anlagen bei Regen und Sturm zur Unterkunft.

Rauschende Musik erfüllt den Cirkus Busch, tausende Hände schlagen im Applaus aufeinander. Mit graziöser Pirouette tänzelt die schöne Panneaureiterin aus der Manege und aus der Menge der an der Piste stehenden Stallmeister drängt sich krähend und johlend eine bunt kostümierte Gestalt mit schlohweißem Gesicht und feuerroten Malen auf den Wangen, einen Filztrichter auf dem Kopf. Der Clown gibt dem einen Stallmeister einen Tritt vor den Magen und dem anderen eine schallende Ohrfeige, schlägt einen Purzelbaum in der Luft und sieht sich dann mit dumm-pfiffigen Gesicht in der Runde um. Die Galerie johlt vor Entzücken und kreischt vor Vergnügen.

Die Clowns sind unentbehrlicher Bestandteil des Cirkus, wie sehr sich auch die dort stattfindenden Schaustellungen verändert haben, das Institut der Clowns ist nicht revolutioniert worden. Und doch im Alten das Neue: ein renommierter Clown darf nicht stehen bleiben, er muss unablässig neue Tricks ersinnen, um sich seinen Ruf zu erhalten. Unter diesen Spaßmachern gibt es wirkliche Künstler, Leute, die im bürgerlichen Leben repektabel zu repräsentieren verstehen und ehrbare Familienväter sind. Ihre Einkommen sind nicht viel schlechter als die eines Ministers. Immerhin gibt es genug Leute, die einen guten Clown höher schätzen als einen schlechten Minister.

Der Cirkus Busch besitzt eine ganze Anzahl Clowns, die nicht nur beim Publikum sondern auch in der Artistenwelt anerkannt sind. Erhält man Einblick in die Clowngarderobe, bemerkt man, dass ihr Komfort alles zu wünschen übrig lässt. Aber selbst die "Sterne" unter den Clowns sind in dieser Richtung nicht verwöhnt. Monsieur Delbosque schminkt sich soeben vor einem Handspiegel während sein Leonberger in philosophischer Ruhe danebensitzt. In Hemdärmeln mit seinem Banyo im Arm gibt der famose Gigerlclown Mr. Daniels seinem Söhnchen Unterweisung im Spielen dieses Instruments. Der "August" schaut vergnügt zu und Clown Jimbo erzählt dem Sprechstallmeister eine interessante Geschichte. Draußen erklingen wie aus weiter Ferne die Klänge der Cirkuskapelle. Ein Klingelzeichen: "Monsieur Delbosque!" Der Franzose verlässt die Garderobe, gefolgt von seinem Hund, seine Nummer beginnt.
Falko Hennig

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 1999