Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Tschüß, Alex!

Wir sollen uns verabschieden. Auf Wiedersehen, Centrum-Warenhaus! Leb wohl, Hotel Stadt Berlin! Ade, Haus der Elektrotechnik! Mach´s gut, Haus des Reisens! Tschüß, Alextreff!

In seiner letzten Sitzung vor der Wahl hat das Abgeordnetenhaus den Bebauungsplan für den Alexanderplatz beschlossen. Das bedeutet sofort freie Bahn für den Kollhoff-Plan. Also zunächst: tabula rasa. Schließlich hat die DDR den guten alten Franz-Biberkopf-Mythos Alexanderplatz kaputt gemacht und ihn zu einer öden, sozialistischen Betonwüste verhunzt - meinen zumindest die Planer des Senats. Und was macht man gegen Beton? Ganz klar: noch mehr Beton! Ostbeton raus, Westbeton rein - fertig ist die urbane, kapitalistische Betonwüste. Immerhin dürfen das Haus des Lehrers und die Kongresshalle, die Weltzeituhr und der Brunnen der Völkerfreundschaft, ja sogar der Fernsehturm stehen bleiben. Da kann sich doch kein Ostler beschweren. Der S-Bahnhof und die Behrens-Bauten Alexanderhaus und Berolinahaus bleiben auch stehen, denn sie verkörpern die gute Moderne (weil alt), im Gegensatz zur bösen Ost-Moderne.

Auf dem Alexanderplatz herrscht jede Menge Betrieb. Nur entsprechen die skateboardfahrenden Jugendlichen, die currywurstkauenden Rucksacktouristen, die peruanischen Straßenmusiker und die herumlungernden Punks nicht dem Bild von Urbanität, das die Neue Mitte im Kopf hat. Handytragende Schlipsträger sind hier in der Unterzahl. In welchem Straßencafé sollen sie auch ihre Financial Times lesen?

Das Planungsverfahren ist ein Lehrbeispiel, wie in Berlin Stadtplanung betrieben wird. Es kann schon längst niemand mehr nachvollziehen, warum im städtebaulichen Wettbewerb von 1993 der Kollhoff-Entwurf den Zuschlag erhielt. Dennoch wird bis heute stur daran festgehalten - allen sachlichen Einwänden zum Trotz und entgegen dem Votum der Bürger, die sich zu Tausenden fast einmütig gegen die Hochhäuser aussprachen. Der Plan wurde beschlossen, ohne dass die städtebaulichen Verträge mit den Investoren zuende ausgehandelt wurden. Bei den Kosten für die Erschließung klafft eine Deckungslücke von mindestens 35 Millionen Mark. Eine Metropole wie Berlin zahlt sowas ja aus der Portokasse.

Also wird losgebaut: bis 2004 nur die achtgeschossige Blockrandbebauung, ab 2006 bis 2011 dann vielleicht die 150 Meter hohen Hochhäuser - zunächst aber wohl nur sechs, die restlichen vier folgen möglicherweise später. Also: am Alexanderplatz ist in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mit Baustellen zu rechnen. Meiden Sie den Bereich weiträumig.

Tschüß, Alex! Es war schön mit Dir in den letzten dreißig Jahren...
Hanns Mentjes

© scheinschlag 2000
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