Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Die nachfolgende Generation gefährdet meist die jüngste Vergangenheit

Interview mit dem Landeskonservator Dr. Jörg Haspel, Leiter des Landesdenkmalamtes

Die Denkmalpflege macht in Berlin derzeit nicht den glücklichsten Eindruck. Es gab in letzter Zeit eine Reihe von Denkmalverlusten, weitere Abrisse sind schon abzusehen.
Ich will zwar nicht sagen, dass wir grenzenlos glücklich sind, aber einige Strategien haben sich als erfolgreich herausgestellt. Zum Beispiel hat sich beim Regierungsumzug seit Beginn der neunziger Jahre viel zu Gunsten der Denkmalpflege verändert. Ich glaube, dass das einen vorbildlichen Charakter hat und Wirkung zeigt, weil man mit dem Verweis auf die teilweise mustergültige Rolle des Bundes beim denkmalgerechten Umnutzen von Altbauten auch andere öffentliche und private Investoren besser überzeugen kann.
Andererseits stehen wir vor einer aktuellen Schwierigkeit - und die betrifft nicht nur Berlin: die Frage des Umgangs mit der Nachkriegsarchitektur, besonders der aus den sechziger und siebziger Jahren. Wir haben in diesem Bereich ein Vermittlungsproblem und auch ein Überzeugungsproblem. Wenn es dem Landesdenkmalamt zusammen mit der Akademie der Künste nicht gelingt, einem Kultursenator die Bedeutung des Studentendorfes Schlachtensee für die Nachkriegszeit in West-Berlin deutlich zu machen, oder wenn es nicht gelingt, einer Senatsbaudirektorin die städtebauliche Qualität des Schimmelpfenghauses als Platzwand der ehemaligen Visitenkarte West-Berlins zu vermitteln, oder auch wenn es uns nicht gelingt, einen Baustadtrat von der ästhetischen Faszination des "Ahornblattes" zu überzeugen, dann sieht man, dass noch viel Arbeit notwendig ist, um eine Akzeptanz herzustellen, die über die Fachkreise hinausreicht. Die Denkmalpflege muss sich ein Stück aus ihrem Elfenbeinturm herausbewegen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Wir dürfen nicht im klassischen Repertoire der historischen Bauwerke stehenbleiben, sondern wir müssen auch für die Akzeptanz und die Erhaltung der jüngeren Bauschichten werben.

Es ist also auch bei der Politik noch Überzeugungsarbeit nötig?
Die Politik repräsentiert ja das gesamtgesellschaftliche Denkmalverständnis. Ich habe den Eindruck, dass die Nachkriegsarchitektur, die der Ästhetik des industrialisierten Bauens gehorcht, heute als obsolet empfunden wird. Das ist ja auch insofern richtig, dass es eine historisch abgeschlossene Entwicklung ist, die nicht zum Nachmachen oder als Vorbild zur Fortsetzung empfohlen werden kann. Wir haben nun die Situation - wie häufig in der Geschichte der Architektur -, dass gerade die nachfolgende Generation die größte Gefährdung für das Erbe der zurückliegenden Generation darstellt. Insofern ist eine der vordringlichsten Aufgaben, dieses Kapitel der deutsch-deutschen Nachkriegsarchitektur stärker zu thematisieren. Wir müssen zeigen, dass deren historische, ästhetische, stadtbaukünstlerische und architektonische Qualitäten erhaltenswert sind, auch wenn sie nicht die bildmächtige Wirkung von Monumentalbauten des Kaiserreichs haben.

Vor kurzem ist das neue Schlagwort "Denkmalmanagement" aufgekommen, womit die Aufgaben des Denkmalpflegers neu definiert wurden: weg vom Anwalt des Denkmals und mehr hin zum Moderator zwischen den Interessen. Der Leiter der Obersten Denkmalschutzbehörde, Helmut Engel, hat dazu am Beispiel des "steinzeitlichen Realientauschhandels" zwischen der Kreuzberger Schultheiss-Brauerei und dem Studentendorf Schlachtensee versucht zu zeigen, dass die traditionelle Rolle des Denkmalpflegers nicht weiterführt. Wie soll ein "Denkmalmanager" erfolgreicher agieren?
Ein festes Berufsbild des Denkmalmanagers gibt es natürlich nicht. Aber es gibt ein allseitig empfundenes Bedürfnis, mehr für leerstehende, nicht genutzte, untergenutzte oder leerfallende Denkmale zu tun. In Berlin gibt es im Bereich der Industriearchitektur, der gewerblichen Bauten, aber auch der Infrastruktureinrichtungen zahllose Gebäude, die keine Nutzung mehr haben. Ähnliches gilt ja auch für manche Kirchen. Es reicht nicht aus, zu warten, bis irgendwann der Abbruchantrag kommt, sondern man muss versuchen, im Vorfeld aktive Denkmalpflege zu betreiben. Diese Form des Denkmalmanagens ist ebenso wichtig wie die Wahrnehmung denkmalschutzrechtlicher Aufgaben im Gefährdungsfall, weil die Weichen für das Schicksal eines Denkmals häufig sehr viel früher gestellt werden.
Wir versuchen beispielsweise gemeinsam mit der BEWAG einen Katalog denkmalgeschützter Umspannwerke zu erstellen, mit dem einerseits gezeigt wird, wie interessant diese sehr Berlin-spezifische Baugattung ist, und der andererseits auch als Immobilienkatalog für Investoren dient, die auf der Suche nach einer singulären Adresse, nach einem Unikat sind.
Das meint, glaube ich, der Begriff Denkmalmanagement: dass man nicht zuschaut, wie das Denkmal leerfällt und verfällt, bis es allein durch sein äußeres Erscheinungsbild als Schandfleck oder störend empfunden wird, sondern dass man das Denkmal revitalisiert und wieder nutzt, so dass die Attraktivität nicht nur dem fachlich geschulten Blick deutlich wird. Dazu gehört auch ein Stück Denkmalmarketing, um potenzielle Denkmalinteressenten als Investoren zu gewinnen, etwa für die auf der Verkaufsliste des Landes Berlin stehenden Denkmaladressen.

Hat das Denkmalmanagement auch mit den knapper werdenden Finanzmitteln zu tun?
Sicher wirken sich die leeren öffentlichen Kassen ungut auf die finanzielle und vor allem auf die personelle Ausstattung der Denkmalpflege aus. Zum anderen ist aber das Hauptproblem, dass die öffentliche Hand nicht die Möglichkeit hat - und historisch auch nie hatte -, für die angemessene Nutzung aller Denkmale zu sorgen. Dazu sind private Eigentümer und privates Kapital erforderlich. Wir versuchen deshalb sicherzustellen, dass es zu einer Bündelung der Förderinstrumente kommt, also dass Sanierungsmittel schwerpunktmäßig in den Denkmalbestand fließen und zur Erhaltung beitragen, oder auch dass bei der Mittelvergabe der Wirtschaftsförderung und der Strukturpolitik denkmalpflegerische Schwerpunkte gesetzt werden. Ich glaube, dass diese Förderstrategie und steuerliche Anreize in der Perspektive sogar wirksamer werden können als bloße Zuschussmittel im klassischen Sinne.

Bei der Suche nach Nutzungskonzepten für Industriedenkmale trifft man ja häufig auf kulturelle Nutzer, die aber dem Interesse des Eigentümers an wirtschaftlicher Verwertung oft im Wege stehen.
Wir versuchen, Investoren und Denkmaleigentümer davon zu überzeugen, solche improvisierten Nutzungen nicht geringzuschätzen. Ich glaube, dass die Kultur der Zwischennutzungen, der provisorischen Indienstnahme stärker gepflegt werden muss. Manche Industrie- und Technikdenkmale liegen so versteckt, dass sie für eine schnelle Verwertung schwierige Objekte sind. Die Kultur kann dabei als eine Art Pfadfinder solche

locations erschließen und wieder ins Gespräch bringen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass entscheidende Impulse oft durch kulturelle Nutzungen vorbereitet wurden, die in erster Instanz nicht als wirtschaftlich tragfähig erschienen. So etwas wie der Hambuger Bahnhof, der zur Galerie des 20. Jahrhunderts geworden ist, oder die Umnutzung alter Fabrikgebäude als Forschungslabors durch die TU wird da eher die Ausnahme bleiben.

Als neue Nutzung für Fabrikgebäude stehen derzeit Loft-Wohnungen hoch im Kurs, vor allem entlang der Spree. Die Umnutzung ist aber häufig mit erheblichen baulichen Eingriffen verbunden.
Das Wohnen ist nur eine von mehreren denkbaren Alternativen, solchen Gebäuden zu einer neuen Funktion zu verhelfen. Ich sehe das Problem weniger in der mehrgeschossigen Fabrikarchitektur als in der Hallenarchitektur. Berlin hat einen unglaublich reichen Bestand an großvolumigen Hallenbauten mit teilweise sehr kühnen Ingenieurkonstruktionen: Markthallen, Straßenbahndepots, Busdepots, aber auch Montage- und Werkstatthallen. Diese wieder in angemessene Nutzungen zu bringen, sehe ich als eine besondere Herausforderung an, weil es natürlich schwer ist, Hallenarchitekturen mit teilweise immensen Spannweiten mit einer Nutzung zu versehen, die wirtschaftlich sinnvoll ist und den Gesamtcharakter der Bauwerke erhält. Nun ist die Frage, wo es möglich ist, solche Hallenkomplexe im Ganzen zu erhalten, wie es die Arena in Treptow vormacht, der man sehr dankbar sein muss, dass es gelungen ist, diese riesige Halle weiterzunutzen. Der andere Ansatz ist, solche Hallen zu unterteilen oder durch Haus-in-Haus-Lösungen für kleinere Einheiten nutzbar zu machen. Da sind wir auf der Suche. Wir müssen der Stadt deutlich machen, dass sie in der Kaiserzeit eine sehr bedeutende Industriemetropole und sozusagen die Hauptstadt der Hallenarchitektur war und dass wir von Glück sagen können, wenn sich Bau- und Technikdenkmale dieser Ära so zahlreich überliefert haben. Diese Zeugnisse der Industrialisierung in die postindustrielle Zeit hinüberzuretten, ist unsere Verpflichtung. Das wird sicher nicht nur mit Museumskonzepten gehen - man muss auch denkmaldienliche Umbauten oder Eingriffe ermöglichen.

Interview: Jens Sethmann

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