Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Zu "Moscow" tanzt die Volkspolizei

Lange schien die Sonne nicht so heiter in deutschen Kinos

Ich hasse diesen Film, weil ich auf alle Schauspieler, die mitspielen, eifersüchtig bin. Herr Haußmann, es ist unverständlich, warum Sie all die Rollen, weiblich wie männlich, nicht mit mir besetzt haben.

Ich hasse diesen Film, weil ich in der Stabliste nirgendwo genannt werde. Weder als Regisseur, noch als Kameramann, weder als Autor noch als Produzent. Es ist ungerecht.

Ich bin wütend, kein "ganzer" Ost-deutscher zu sein (meine Mutter stammt aus Ostdeutschland, mein Vater aus Frankreich) und nicht am Grenz-übergang in der Sonnenallee, Berlin- Ost-Zone, gewohnt zu haben. Dafür weiß ich, warum meine Mutter von Leipzig nach Paris übersiedelte. Wahrscheinlich hat sie Sartre gelesen. Aber genug des Jammers.

Wer kennt nicht dieses wundervolle Gefühl, dem Helden nicht nur zuzugucken, sein Leben nicht nur zu begleiten, nein, das allein ist es nicht, es ist dieses unendlich über alle Hauthaare prickelnde Gefühl ganz und gar dieser Held zu sein? Seine Ängste zu verspüren, seine Bravour zu haben, das Mädchen zu lieben, die er begehrt? Oh ja! Zu lieben und zu leben. Und welch ein Leben! Mit Freunden, mit denen man im Takt den coolen Tanz aufzieht oder sich zur Mädchenanmache gegenseitig aufmuntert. Ja so ein Film ist das. Wo man von einer Gewehrkugel nicht stirbt, dafür aber die heiß ersehnte Rolling Stones-Schallplatte zerbricht, und es ist schlimmer als der Tod und es ist wirklich so. Aber genug des Lobgesangs.

Intellektuell betrachtet bietet der Film nichts anderes als eine breite Palette von Verhaltensmustern normaler DDR-Bürger in den 70ern, eingepackt in schönem, buntem Filmformat, serviert in dunklen Lichtspielsälen, damit sich der durchschnittliche Kinobesucher den Wanst mit Bier und Popcorn vollstopft, dabei mal lacht, mal weint. Nicht zuletzt wollen wir den pädagogischen Wert des Films erwähnen, der es ist, dem Zuschauer die deutsch-deutsche Geschichte auf vergnügliche und überschaubare Weise näherzubringen.
Ich empfehle einen Kinobesuch mit Freunden.
Sylvanus

Sonnenallee, immer noch in vielen Lichtspielhäusern der Hauptstadt der BRD

© scheinschlag 2000
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  Ausgabe 09 - 1999