Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Ein ganz normaler Schreibtischtäter

"Der Spezialist" - ein Film über den Eichmann-Prozeß

Adolf Eichmann, 1961 vor dem Gericht in Jerusalem: Ein unscheinbarer, hagerer Mann mit schütterem Haar, der bewacht von zwei Polizisten in einem Glaskasten sitzt, nervös mit den Augen zuckt und eifrig Notizen in Dokumente einträgt, die sich neben ihm zu einem sorgsam geordneten Stapel häufen. Eichmann, als SS-Offizier tätig im Reichssicherheitsamt und verantwortlich für die Vernichtung von Millionen von Juden und Zigeunern, leugnet seine mörderische Rolle nicht. Als Initiator will er aber nicht gesehen werden, lediglich als Organisator des Verbrechens. Ein scheinbar normaler Mann, ein Schreibtischtäter, der sich in seiner bürokratischen Gehorsamspflicht dem Fahneneid gebeugt hat - und damit die zuverlässige Deportation von über vier Millionen Menschen in die Ghettos und Konzentrationslager möglich gemacht hat.

Der israelische Regisseur Eyal Sivan zeichnet ein Portrait der Person Eichmann, indem er das insgesamt 350 Stunden umfassende Videomaterial, Aufnahmen des Prozesses im Auftrag der israelischen Regierung, auf 13 Sequenzen reduziert. Dabei sollten sich die Bilder auf jene beschränken, die "das Feld der technischen Kompetenzen Eichmanns" absteckten.

Im Mittelpunkt steht die Figur Eichmann und nicht die Opfer oder Überlebenden, die hier als Zeugen aussagen. Angeregt wurde diese Darstellung von Hannah Arendts 1963 erschienener Dokumentation des Prozesses "Eichmann in Jerusalem - Ein Bericht über die Banalität des Bösen". Arendt sah in Eichmann weder einen Perversen noch einen Sadisten, beschrieb ihn vielmehr als normalen Menschen, der gern im Rampenlicht stand. Das machte sie in Israel zur Unperson; ihr Buch wurde als Verharmlosung des Völkermordes gesehen. Erst jetzt, 36 Jahre nach Erscheinen des Buches, wird an einer hebräischen Fassung gearbeitet; erst jetzt beginnt man in Israel, differenzierter über Arendt und ihr Werk zu diskutieren. "Ein Spezialist" der Autoren Sivan und Rony Braumann könnte diese Entwicklung vorantreiben: Indem die in Israel tabuisierten Bilder, die jahrelang in den Archiven des israelischen Staates vergraben waren, hier ans Licht gezerrt werden, wird ihr Mißbrauch zu staatspolitischen Zwecken verdeutlicht - Sivan: "Der Eichmann-Prozeß war ein Spektakel, es war wie im Kino, alles war konstruiert." Der Film nun zeigt ein Justizdrama, in dem nicht nur Eichmann, sondern der gesamte Nazismus und Antisemitismus angeklagt werden sollte - ein Spektakel vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Aber auch das gelingt nur, indem Sivan dieses Spektakel noch einmal in Szene setzt und mit modernen Montagetechniken, Licht- und Soundeffekten zu mehr macht, als es eigentlich ist.
Claudia Gabler

Kinostart: 11. November

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  Ausgabe 09 - 1999