Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Falten der Macht

Fotoausstellung im Deutschen Historischen Museum

Kaum ist die Bundesregierung hier, schon öffnet das Deutsche Historische Museum weit seine Tore, um seine Wände mit Politikerporträts zu garnieren. "Just-in-Time"-Promotion nennt sich das. Und wo der Berliner so gerne in die Reichstagskuppel klettert, um seinen Volksvertretern nahe zu sein - warum nicht mal ein hautnahes Eindringen in die Welt der Politik? "Spuren der Macht" nennt sich die Ausstellung reißerisch - und meint vor allem die Furchen in den Gesichtern der Abgebildeten.

Jeder der vermeintlich "Gezeichneten" wurde in den letzten acht Jahren einmal pro Jahr fotografiert - nicht von irgendeiner Pressestelle, sondern künstlerisch veredelt durch Herlinde Koelbl. Nun hängen die Ergebnisse da wie in einem klinischen Experiment: Für jeden sind 16 großformatige Schwarzweißfotos reserviert, achtmal der Kopf und achtmal die Körperhaltung dazu. Streng geordnet für den analytischen Blick. Keine Blumen auf irgendeinem Tischchen, nur schön neutral mit weißem Hintergrund kommen sie daher. Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Angela Merkel kennt man zu Genüge aus der Presse. Geben ihre Porträts darüber hinaus etwas bekannt von irgendeiner Macht, abgesehen davon, daß man vergessen hat, wie jemand wirklich vor acht Jahren ausgesehen hat? Und abzüglich der banalen Tatsache, daß alle älter werden? Joschka Fischer ist ein dankbares Studienobjekt: Früher barock beleibt und jetzt verdünnt dank Marathon und FDH. Die Fotos führen einen eindeutigen Beweis. Doch der Ausstellungsbesucher relativiert hier ganz schnell die suggerierte Aussage, alles sei eine "Spur der Macht". Beispiele von Gewichtsabnahmen mit augenfälliger Veränderung gibt«s landauf, landab zuhauf - auch ohne "Macht". Ebenfalls jene herabhängenden Mundwinkel und trübe Blicke, die Herlinde Koelbl so gerne als Indizien für "Macht" gesehen haben will, kennt man von seinem Nachbarn - und der ist arbeitslos. Was nun? Soll man sich an die Zitate der Porträtierten halten, die als Garnitur unter jedem Foto angebracht sind? Herlinde Koelbl hat sich unvorsichtigerweise auch noch mit ihren Fotosubjekten unterhalten. Die scheinbar sinnfälligsten Äußerungen aus den Interviews verbreiten jetzt unter jedem Foto klebrige Mischungen aus Küchenphilosophie, PR-Rethorik und Kumpanei. Zitat Fischer: "Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert etwas länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt." Oder Heide Simonis: "Wenn ich so werde, wie sie mich haben wollen, wäre ich so langweilig, wie einige Politiker tatsächlich sind." Aha. Den Zusammenschnitt der Interviews für eine WDR Dokumentation kann man sich im Nebenraum zu Gemüte führen. Wer danach meint, er sei seinen Politikern nahe gekommen, habe gar den Menschen hinter aller Macht in ihm entdeckt, ist selber schuld, bzw. sitzt der Selbstüberschätzung Herlinde Koelbls auf, die kein einziges Mal ihre eigene Herangehensweise geschweige denn die Möglichkeiten der Fotografie reflektiert. Gefangen in ihrer Mission, die Mächtigen zu porträtieren, glaubt sie durch bloßen Kontakt zu diesen und bodenständigen Fragen in der Güteklasse von ´Haben Sie Lust an der Macht´ einem Geheimnis hinterher zu sein. Geboten wird gehobene Yellow-press mit therapeutischem Ansatz. Oder einfach Naivität.

sas

DHM im Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3, bis 16. November, täglich außer mittwochs 10 bis 18 Uhr,
Postkarten der Fotos zu drucken, hat man vermieden.

© scheinschlag 2000
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  Ausgabe 09 - 1999