Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Zampano gegen Jammerlappen - am Ende siegt die Liebe

Die Werkbühne Berlin läßt Briefe schreiben

Wie würden Sie reagieren, bekämen Sie einen Brief ungefähr diesen Inhalts: "Sie sind die Schönste. Ich werde Sie heiraten". Der Typ muß verdammt unter Selbstüberschätzung leiden, werden Sie denken. Das ist auch richtig. Aber der Herr kommt damit durch, und zwar immer. Jaja, so etwas gibt es. Und zwar nicht nur im Leben sondern auch auf der Bühne. "Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben" heißt das Stück von Tankred Dorst, aufgeführt von der Werkbühne Berlin (Regie: Jobst Langhans).

Schon allein der Name im Titel läßt auf Lateinamerika schließen und richtig: Vorlage ist ein Erzählung von Miguel de Unamuno. Wir befinden uns in irgendeiner Stadt, wo Menschen pleitegehen können und schöne Töchter besitzen, die es wert sind, daß ein draufgängerischer Finanzmogul dem Alten die Schulden bezahlt. Zusätzlich gelingt es dem virilen Tausendsassa dank seiner sagen wir mal Ausstrahlung die Tochter des Hauses - Julia, gespielt von Kerstin Hänel - von sich zu überzeugen. Es wird geheiratet und der Thronfolger (natürlich!) wird geboren. Frauchen hat also zu tun, und außerdem ist sie ihm ja so verfallen, denkt er. Der gehört zu den Typen, die die Macht dazu haben und das Geld, die Welt so hinzudrehen, wie es ihnen paßt, ohne Rücksicht auf Verluste. Und so kommt es, wie es kommen muß: Julia beginnt ein Verhältnis mit einem adligen, schöngeistigen Schwärmer (Rudolf Krause), was sie dem Gatten wütend erzählt und der sie zur Strafe für die Fehlfunktion in die Klapse einweisen läßt. Sie soll sich alles nur eingebildet haben. Irgendwann spielt sie das Spiel mit, der Herr hat recht, sie ihre Ruhe, sie schwindet dahin.

Es wird viel von Liebe geredet. Julia verliebt sich in den großen Zampano, weil der eben der tolle Haudraufwaskostetdiewelt-Klotz Krapp (Jürgen Larys) ist und in den intellektuellen Schwächling der Seele wegen. Später muß sie sich unterwerfen, will sie überleben. Beim Anblick dessen kann frau nur froh sein, daß sie sich nicht in Lateinamerika befindet. Ein schwacher Trost, denn mit der Liebe ist es immer so eine Sache, will uns der Autor möglicherweise erzählen. Und wer hat nicht schon mal einen Stoßseufzer mit der Bitte um perfekte Mischung von Geist und Körper getan? Aber das wollte der Autor bestimmt nicht sagen. Ist das Stück eher eine Anklage gegen die Unterdrückung der Frau? Wohl kaum. Dafür kommt der Fernando Krapp ganz gut weg, ist er doch zu menschlich dargestellt als "Mann mit Vergangenheit". Julia ist die Empfindsame, Schöngeistige, völlig unverstellt, und der adlige Jammerlappen ist nur solange stark, wie er sich nicht beweisen muß, also im Reden. Eher wohl geht es darum, daß nichts und niemand so ist, wie es scheint.

Gut ist, dass sich die Inszenierung auf das Stück und die Schauspieler verlassen hat. Sie bewegen sich in einem weißen Raum, das spärliche Mobiliar ist ebenfalls weiß, nicht so ganz von dieser Welt. Die wenigen Farbtupfer kommen nur ins Spiel, wenn es um Gefühle geht: Eine rote Seidendecke als Symbol für den Ehebruch oder das bunte Kleid bei einem Ausflug der frisch Verliebten. Es könnte auch ein Märchen sein, hat es doch eine Moral. Am Ende stirbt Julia, und der kühle Welteneroberer gesteht ihr seine Liebe. Zu spät.
ib

Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben, Werkbühne Berlin in der Alten Schlosserei der Kulturbrauerei, Knaackstraße97/Ecke Danziger Straße 28.-31. Oktober, jeweils 20 Uhr

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