Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

"Man ist schon an die Front geschickt"

Über Krieg und Frieden und das Theater. Felix Herbst im Gespräch mit Matthias Kubusch, Regisseur von SchauHaus

Warum jetzt ein Stück über Krieg?
Es ist kein Stück über Krieg, sondern ein kriegerisches Stück. In drei Inszenierungen zuvor haben wir uns mit dem Thema Revolution auseinander gesetzt, dabei immer das Thema Krieg gestreift. Jetzt wollten wir es etwas genauer wissen.

Die Inszenierung hat mit dem letzten Jugoslawienkrieg gar nichts zu tun?
Vordergründig nicht. Wir verhandeln keine Tagespolitik. Hat die Nato richtig gehandelt? Sollen die Deutschen oder sollen sie nicht? Die Prozesse, die dieser Krieg in der Gesellschaft ausgelöst hat, sind viel spannender. Es gab Reaktionen von absoluter Gleichgültigkeit bis hin zu einer grossen emotionalen Anteilnahme, die sich vor allem gegen den Krieg gerichtet hat. Dann gab es eine neue Zerrissenheit, weil Menschen, die eigentlich gegen Krieg sind, ihn auf einmal richtig fanden, weil es um die Verteidigung humanistischer Werte ging. Der Kosovokrieg hat ein kriegerisches Moment in unsere Gesellschaft gebracht, weil über eine verzwickte Angelegenheit nachgedacht und vehement darüber gestritten wurde.

Das hört sich an, als sei das ein begrüssenswerter Zustand.
Die Gesellschaft befindet sich doch in einem permanenten Kriegszustand, der verleugnet wird. Man lebt in so einem Friedensvakuum dahin und irgendwann denkt man, es müsse mal wieder etwas passieren. Wichtig wäre, dass man diesen Friedenszustand auch als Kriegszustand begreift, und damit umzugehen versucht. Von der einfachen Gleichung: Frieden ist gut und Krieg ist schlecht halte ich nichts. Der Mensch befindet sich schon seit Jahrtausenden im Kriegszustand und es sieht nicht so aus, als würde das bald anders werden. Also ist es wichtig, dass man diesen Zustand anerkennt und das kriegerische Moment schätzen lernt. Dass man nicht immer alles glättet und zudeckt und Frieden behauptet, wo keiner ist.

Wie bringt man das Thema ins Theater? Jüngere Menschen kennen den Krieg vor allem aus dem Kino.
Man muss das Thema zum Theaterprozess erklären. Keiner von uns war im Krieg. Ich würde mich auch nicht in den Zug setzen, um als Betroffenheitsfanatiker den Krieg aus der Nähe anzusehen, um dann aus erster Quelle berichten zu können. Wir müssen uns gegenseitig unsere Vorstellungen erzählen. Wenn man die Vorstellungen miteinander vergleicht, gerät man darüber ins Spiel. In jeder Vorstellung steckt ja auch eine Hoffnung. Obwohl ich mir wünsche, dass die Gesellschaft in ihrer Auseinandersetzung kriegerischer wird, will ich natürlich den Krieg vermeiden.

Der Krieg im Theater als Ersatz für den echten Krieg?
Es kann nur ein schwacher Ersatz sein. Wie Karo-Kaffee. Aber das Theater muss versuchen, diesen Ersatz kräftiger zu machen.

Hat sich durch den Arbeitsprozess deine Sichtweise aufs Thema verändert?
Dass ich den Krieg als Gewaltzustand überflüssig finde, daran hat sich nichts geändert. Unser Ansatz war anfangs, dass wir den Krieg im Ausnahmezustand der Schlacht zeigen. Aber in vielen Gesprächen haben wir gemerkt, dass etwas anderes noch wichtiger ist. Ich dachte immer, es sei eine faule Ausrede, wenn Menschen vom Alltagskrieg reden und ihr Wohnzimmer zum Schlachtfeld erklären, weil sie sich damit vor der Auseinandersetzung mit der Realität der Schützengräben drücken wollen. Wir waren auch mit Lord Knud im Gespräch, diesem Radioveteranen des kalten Krieges, der machte mich darauf aufmerksam, dass es nicht nur im Kosovo Flüchtlingsströme gibt, sondern auch in Berlin, wo die Leute ja ständig am Umziehen und auf der Flucht sind. Nur die Gründe sind andere. Dort ist es das zerstörte Dorf und hier sind es zerbrechende Lieben, Einkommensverluste, die Notwendigkeit, der Arbeit hinterherzuziehen. Vom Arbeitsmarkt geht die grösste Dynamik aus. Politiker und Manager fordern immer Flexibilität, aber eigentlich meinen sie Mobilmachung. Es gibt nicht den Stillstand, der oft behauptet wird. Erst die Wahrnehmung produziert den Stillstand. Man ist schon an die Front geschickt, aber man hat verlernt, darüber nachzudenken. Man will nicht, man kann nicht und man soll auch nicht, denn man könnte ja sonst seine Schlüsse daraus ziehen.

Was für Schlüsse?
Wenn man die Energie und die Kraft, die man ständig für seine eigene Mobil-machung aufwendet, gegen andere Dinge richtet, gegen einen Gesellschaftszustand beispielsweise, dann könnte das ja für bestimmte Leute gefährlich werden.

Ist "Kriegserklärung" ein Angriff auf die Bewusstlosigkeit?
Es ist ein Spiel mit der Bewusstlosigkeit. Es geht im Theater immer darum, die Wahrnehmung zu schärfen. Es hilft einem nicht, wenn man die Tatbestände auf der Bühne vereinfacht und in gut und böse einteilt. SchauHaus versucht, Theater als lyrischen Verdichtungsprozeß von Wahrnehmungen zu begreifen. Nicht das hervorgehobene, dramatisch aufgearbeitete und durch Motiv, Handlung und Konflikt beherrschte Beispiel, das dem Zuschauer eine oder auch mehrere Sichtweisen und Entscheidungsmöglichkeiten bietet, ist das Ziel der Arbeit. Die Unendlichkeit von Möglichkeiten, die Gleichzeitigkeit von Motiven, Handlungen und Konflikten, das gegenseitige Bedingen, Überlagern und Widersprechen von Zeitläufen, Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungen, Eindrücken und Landschaften - das ist wichtig in unserem Arbeitsprozeß. Wir bieten keine Lösungen. Das Publikum muss sich verhalten und selbst auswählen aus einem Wust von Möglichkeiten. Mich interessiert die Gesamtheit der Konflikte, weil sich alle gegenseitig beeinflussen. Und mich interessiert das Geheimnis eines Konfliktes.

Warum spielt Ihr in der Zionskirche? Das klingt nach einer frostigen Angelegenheit.
Man braucht solche Räume, die auch dazu verleiten, dass man einfach mal nur still sitzt, dass man bestimmte Zustände erträgt. Es ist eine unbeheizte Kirche, die Zuschauer müssen Zustände aushalten, die im Krieg normal sind. Die Schauspieler spielen sich den Krieg vom Leib. Vieles ist sehr komisch geworden. Die Zuschauer bekommen Originaldecken von der Bundeswehr und können zusammenrücken. Ich glaube nicht, dass jemand frieren wird.

"Kriegserklärung" in der Zionskirche, Premiere: 21. Oktober, weitere Vorstellungen 22., 23., 28., 29., 30. Oktober, 20 Uhr, Karten: 46 60 51 85

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 09 - 1999