Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Zwischen Hoffen und Klotzen

Gespräch mit den Direktkandidaten im Wahlkreis Mitte-Nord,
Sibyll Klotz (Bündnis 90/Grüne) und Benjamin Hoff (PDS)

Bei den Abgeordnetenhauswahlen am 10. Oktober haben im Wahlkreis 001 (Mitte-Nord) die Kandidaten der beiden Oppositionsparteien die besten Aussichten, das Direktmandat zu gewinnen. Sibyll Klotz, ostberliner Frontfrau der Grünen, muss um den Einzug ins Parlament nicht bangen, denn sie hat einen sicheren Platz auf der Landesliste ihrer Partei. Für die PDS steigt Benjamin Hoff in den Ring. Wenn er weiterhin jüngster Parlamentarier im Abgeordnetenhaus bleiben will, muss er das Direktmandat schon gewinnen.

Euer Wahlkreis ist ziemlich außergewöhnlich: Die beiden Oppositionsparteien machen hier den Kampf um das Direktmandat unter sich aus.
Klotz: Da bin ich mir noch nicht so ganz sicher. Gabi Schöttler von der SPD hat als Senatorin einen Amtsbonus und mit ihrem Wahlplakat - das kann man finden wie man will - hat sie eine Menge Aufmerksamkeit.

An den Machverhältnissen wird sich nach der Wahl nichts Grundlegendes ändern. Wieso soll jemand die Grünen oder die PDS in die sichere Opposition wählen?
Hoff: Man wählt eine Partei ja nicht, um sie in die Opposition zu bringen, sondern um sie so stark wie möglich zu machen. Davon abgesehen halte ich die Opposition für ein sehr sinnvolles politisches Konzept.

Du fühlst dich in der Oppositionsrolle im Abgeordnetenhaus wohl?
Hoff: Die Tolerierung einer rot-grünen Reformpolitik würde ich attraktiv finden. SPD und Grüne haben da ja eine andere Auffassung. In den letzten vier Jahren war die Opposition ein sinnvolles politisches Projekt. Eine Opposition mit Tolerierungsfunktion wäre eine wichtige Entwicklungsmöglichkeit für die PDS. Zur Zeit ist die Diskussion darum allerdings unrealistisch, angesichts der Haltung von SPD und Grünen - bedauerlich.

Wie sehen die Grünen ihre Oppositionsrolle?
Klotz: Ein Aspekt der Oppositionsarbeit ist, Konzepte anzubieten und für die eigenen Vorstellungen zu werben. Der zweite Punkt ist die Kritik der Regierungsarbeit. Das ist deshalb wichtig, weil CDU und SPD eine sehr klare Mehrheit haben. Das bedeutet, dass es überhaupt keine inhaltliche Auseinandersetzung gibt, und die Regierung auf Argumente gar nicht einzugehen braucht. Deshalb fühle ich mich nicht wohl in der Opposition. Mir steht´s bis oben hin, immer zu erleben, dass das fachlich richtigere und klügere Programm einfach abgelehnt wird, ohne sich damit auseinanderzusetzen. Da würde ich gerne mal tauschen. Was die Zusammenarbeit mit der PDS angeht, bin ich gegen ein Tolerierungsmodell. Das wäre für die PDS die lukrativste Variante. Entweder Koalition mit aller Verantwortung oder gar nicht. Eine Koalition mit der PDS wäre nach fünf Tagen vorbei; es würde Massendemonstrationen geben. Hoff: Das ist eine spekulative Diskussion. Die Frage ist, was für eine Oppositionspolitik gemacht wird. Inhaltlich scheinen CDU und SPD eine einzige Partei mit zwei verschiedenen Organisationsformen zu sein. Deshalb fühlen die sich zusammen auch so wohl. Eine CDU-Opposition würde anders argumentieren als eine linke Opposition. Will man Reformpolitik in Berlin, braucht man die PDS.

Wie stellt ihr euch die Zusammenarbeit mit der außerparlamentarischen Opposition vor?
Klotz: Man muss sehen: Es gibt keine soziale Bewegung mehr. In Berlin gibt es aber immer noch eine Menge Bürgerinitiativen, die ihre Sache in die eigene Hand nehmen. Ohne die Verbindung zu ihnen könnten wir gar nicht leben. Hoff: Dass es mittlerweile als Normalität angesehen wird, eine Bürgerinitiative zu gründen - auch wenn es nur die eigenen Belange betrifft -, ist emanzipatorisch ein ganz großer Fortschritt. Es ist auch unsere Aufgabe, solche Rudimente möglicher Opposition zusammenzuführen und zu gemeinsamem Handeln zu bewegen.

Wo seht ihr die Konflikte in eurem Wahlkreis?
Klotz: Das Problem Nr. 1 hat Mitte mit vielen anderen Bezirken gemeinsam: die Arbeitslosigkeit. Was die Leute speziell in Mitte am meisten beschäftigt, ist die ganze Verdrängungsproblematik. Gerade Familien mit Kindern sind im dramatischem Umfang aus Mitte weggezogen. Das betrifft auch die Infrastruktur: Wenn man am Hackeschen Markt was essen will, muss man schon in einen dieser Edelläden oder in ein Bistro gehen, wo man, wenn man Glück hat, noch ein Baguette für 8,90 DM kriegt. Da hat sich eine Yuppieszene etabliert, was die Menschen, die da wohnen, natürlich frustriert. Der nächste Punkt ist: Was wird aus Mitte als Regierungsbezirk? Die Leute wollen eine gewisse Normalität im Leben erhalten. Wenn die Leute aus der Wilhelmstraße, wie beim Clinton-Besuch, nicht mehr in ihre Wohnung kommen, befürchten sie natürlich das Schlimmste. Hoff: Im Prinzip deckt sich das mit meinen Auffassungen. Das eine ist Stadtumbau: Wie hauptstadtfähig wird der Regierungsbezirk gemacht? Wie verändert das die Struktur des Bezirks? Welche Auswirkungen hat das auf die Gewerbeansiedlung oder die Nischenkultur? Zum Beispiel beim Haus der Demokratie oder dem Tacheles: Da hat es eine selbstbestimmte Aneignung der City-Ost gegeben, die vorher so nicht möglich war. Das wird zur Zeit total rückgängig gemacht. Klotz: Das ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte, dass das Haus der Demokratie ausgerechnet an den Deutschen Beamtenbund gegangen ist. Hoff: Für viele Leute in Mitte hat das Signalcharakter. Das andere ist: Wie funktioniert Stadtentwicklung in Mitte? Da sind auch im Bezirksamt Fehler gemacht worden. Die Einrichtung des Milieuschutzes ist lange Zeit versäumt worden. Ein anderes Problem ist, dass das Bezirksamt Personal für die Bearbeitung von Bauanträgen nach der Einwohnerzahl zugewiesen bekommt. In Mitte gibt es aber zehnmal mehr Baustellen als in Wedding oder Weißensee. Und wenn ein Bauantrag nach drei Monaten nicht beantwortet wird, gilt er als ohne Auflagen genehmigt. Da unterstellt man dem Bezirk erstmal Absicht, aber die sind völlig überlastet und kriegen vom Senat nicht mehr Personal bewilligt. Und daraus folgt die totale Nerverei mit den Baustellen und Investorenwillkür.

Die Verwaltungsebenen blockieren sich dabei ja gegenseitig.
Hoff: Die Konzepte der Bauverwaltung und der Stadtentwicklungsverwaltung widersprechen sich auch. Die einen fördern Wohneigentum am Stadtrand und die anderen verfolgen das Konzept des bürgerlichen Eigentums in der Innenstadt. Klotz: Da sehe ich zwischen SPD und CDU aber eine relativ große Übereinstimmung. Von beiden wurde dir Eigentumsbildung extrem gefördert. Wenn man sieht, dass der Senat auch Besserverdienenden - neben den Fördergeldern des Bundes - noch eine Eigenheimzulage gezahlt hat, fragt man sich, was daran sozial ist, wie es immer behauptet wird.

Wie wollt ihr in den nächsten fünf Jahren dagegen vorgehen?
Klotz: In Bezug auf die Umwandlung sagen wir: Berlin ist immer noch eine Stadt der Mieterinnen und Mieter, und soll es auch bleiben. Das heißt nicht, dass da, wo Interesse und Bedürfnisse bestehen, Eigentumsbildung verhindert wird, aber die begrenzten Fördergelder müssen besser eingesetzt werden. Wenn Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen verkaufen, sollen sie die zuerst den Mieterinnen und Mietern anbieten, wobei wir besonders die Bildung von Mietergenossenschaften für förderwürdig halten. Hoff: Man muss versuchen, ein Konzept der sozialen Stadtentwicklung zu realisieren, das die Politikfelder untereinander verknüpft: Bau- und Wohnungspolitik, Verkehrspolitik, aber auch Bildungspolitik ist wichtig bei der Frage, wie sich ein bestimmter Kiez entwickelt. Klotz: Nach unserem Konzept der sozialen und ökologischen Stadtentwicklung soll ein Prozess organisiert werden, der von unten wächst, der nicht von oben Förderprogramme ausschüttet und sagt "Nun macht mal". Die Initiativen vor Ort sollen die Probleme selbst in die Hand nehmen, denn die kennen sie am allerbesten. Das Absurde ist, dass man in der Vergangenheit den Stadtteilinitiativen die Förderung gestrichen hat und damit das vorhandene Bürgerengagement kaputt gemacht hat - und nun kommt Strieder wie Phönix aus der Asche und sagt, wir machen jetzt Quartiersmanagement. Hoff: Es gibt ein Problem mit der gesamten Stadtentwicklungspolitik des Senates: Es gibt eine Präambel - der kann man sich anschließen. Und es gibt hinter der Präambel ein Programm - und darin steckt eine wahre Horrortour.
Interview: Christof Schaffelder/Jens Sethmann

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