Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die Gäste bestimmen das Angebot

Bioprodukte im Café

Der größte Vorteil von Günther Hennes könnte sein, daß er kein Dogmatiker ist. Eher betreibt er eine Politik der kleinen und größeren Schritte. Nicht auf der großen Bühne sondern im Alltag. Und Politik klingt auch viel zu hochgegriffen: Günther Hennes macht einfach - und lotet dabei aus, was möglich ist. Seit drei Jahren ist er Besitzer des Cafés "Kapelle" und hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Bioprodukte seinen Gästen anzubieten. Und er erzählt gern die Geschichte, daß tatsächlich einmal der Bauer sogar mit dem Trecker vorgefahren kam, weil dessen Auto kaputt war. Nicht irgendwo in Brandenburg parkte das Monstrum dann ein, sondern am Zionskirchplatz im Prenzlauer Berg. Der Bauer brachte die regelmäßige Lieferung an Bioobst und -gemüse aus Brandenburg.

Im Allgemeinen geht´s jedoch nicht ganz so spektakulär zu. Eher aus den Gegebenheiten heraus entwickelte sich die Absicht, verstärkt auf biologisch angebaute Produkte zu setzen. Günther Hennes stellte nämlich fest, daß die Paprika-Nuß-Paste auf der Frühstückskarte "ziemlich gut ging." Auch die anderen Bioprodukte, die er vereinzelt verwendete, wurden nachgefragt. Und das, obwohl nicht großartig in der Karte auf ihre ökologische Herkunft verwiesen wurde. Ein Biogroßhändler in Berlin war der erste Handelspartner. Irgendwann ergab der Zufall, daß ihn ein Bauer aus Schmachtenhagen ansprach und ihm Äpfel und Gemüse aus biologischem Anbau anbot.

Mittlerweile haben sich 36 Bauern zusammengeschlossen und die Angebotspalette hat sich stetig erweitert. Die Frischmilch wird lose in 5 oder 10-Liter Kannen geliefert, Frischkäse, Joghurt, Kefir, Holzfaßbutter und glückliche Eier sind dazu gekommen. Und da Günther Hennes immer ein bißchen mehr Veränderung will, "mache ich auch bei anderen Cafés Werbung für die Produkte der Bauern".

Normalerweise ist es üblich, den Großeinkauf in der Metro zu machen. Es ist vor allen Dingen einfach und billig, da man sich nicht mit verschiedenen Lieferanten befassen muß, die zahlreichen No-Name-Produkte dem Billigsortiment angehören und die Konservierungsstoffe in den Lebensmitteln die Lagerung erleichtern. Die Bioprodukte verlangen mehr Sorgfalt in der Aufbewahrung, und deswegen kontrolliert der Cafébesitzer auch "täglich, ob die Kühlzelle im Keller konstant Null Grad hält". Die Frischmilch zum Beispiel ist behandelt, um Bakterien abzutöten. Und dann erzählt er noch von dem Gastronomiebedarf-Vertreter, der ihm ein Gerät angeboten hat, mit dem das Leitungswasser direkt beim Abzapfen mit Kohlensäure versetzt wird. Das sei "Verarschung der Gäste", meint Hennes, wenn man das als Tafelwasser anbieten würde und er habe dankend abgelehnt. Und das Volvic-Wasser, das mal im Angebot war, hat er rausgeschmissen, weil es von Nestlé aufgekauft worden war. Jetzt bietet er ein von Demeter kontrolliertes Wasser an, was er vor allem selber als bekennender Wassertrinker schätzt. Nicht fanatisch kommt das bei ihm rüber, sondern als normale Konsequenz.

Und wenn die Gäste nicht mitziehen, dann werden sie nicht missioniert. Bei der Marmelade ist man wieder zur konventionell Gezuckerten zurückgekehrt. Die Schälchen mit den honiggesüßten Marmeladen blieben fast alle unberührt. Und der derzeitig angebotenen Schokocreme, die zu hundert Prozent kontrolliert ist, droht ein ähnliches Schicksal. Aber Günther Hennes macht seinen Gästen beständig neue Angebote. Für Milchallergiker, die den Kaffee dann meistens Schwarz trinken müssen, bietet er Soja- und Reismilch aus ökologischem Anbau an, dazu einen Sojakaffee aus gerösteten Sojabohnen.

Und immer alles ohne Dogma. Fast immer. Ein einziges Gesetz gibt´s in der Kapelle: dort herrscht eine handyfreie Zone! Und selbst dieses Gebot wird noch mit einem kleinen "merci" auf der Karte bedacht.
sas

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