Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Ist Nordsee noch Mordsee?

Ich sah ihn auf der Überfahrt von Schlüttsiel nach Amrum. Den «kleinen´ Maximilian Schäuferle, wie er von den Zeitungen genannt wurde. Mir kam er nicht so klein vor. Eher pummelig. Ein großes, dickes Kind. Mit dem Fernglas stand er an der Reling und beobachtete die Halligen und das Wattenmeer, lief aufgeregt hin und her: ´rüber zu seinen Erzeugern (Doppelhaushälfte, A-Klasse), sich einen Öko-Keks geben zu lassen, zur Brücke des Kapitäns, die Bedienungsanleitung der Rettungsinseln... immer hin und her. "Soll I dir zeige, wo das Häusle is?", fragte ihn seine Mutter, ob er auf Klo müsse. "Nei, Mama..." Und wieder mit dem Fernglas die Sandbänke abgesucht.

Was dann geschah; ich hab´s nicht selbst gesehen:
Die Mutter schrie. Das Schiff hielt an. Das Horn ertönte. "Mann über Bord": der Befehl an die Seeleute. Die liefen an alle Ecken des Schiffs (sie waren zu viert) und begannen Ausschau zu halten.

Der dicke Max war über Bord gegangen. Ein paar mal sahen wir ihn noch - auf der linken Seite - vielleicht wars auch ein Stück Holz - dann war er verschwunden.

In kürzester Zeit erschienen Polizeiboote und Hubschrauber. Die Fähre und alle Autos und die Nordsee drumherum wurden gründlich durchsucht, wir mußten Namen und Anschrift hinterlassen.

Dämmerung legte sich über das Meer. Kein Max und kein Moritz war zu sehen. Endlich beschloß man, weiter zu fahren.

Mit zweistündiger Verspätung kamen wir auf Amrum an. Und als wir endlich unsere Ferienwohnung gefunden hatten, ausgepackt und eingeräumt, und saßen um den Wohnzimmertisch herum, da waren wir uns einig, daß das ja wohl ein ziemlicher Hammer sei, zum Urlaubsauftakt, und wir wünschten Maximilian alles, alles Gute, und gingen dann schlafen, müde von der Fahrt und der Aufregung. (Im Stillen aber hoffte ich, daß seine Leiche nicht an unserem Strand angespült werden würde.)

In den nächsten Tagen war der «kleine´ Max Gesprächsstoff in sämtlichen Cafés und Restaurants. Er wurde nicht wiedergefunden. Das Entsetzen war groß. Der «Inselbote´ erschien mit Sonderseiten.

Am Dienstag, vier Tage später also, brachen wir schon am Vormittag auf: Sechs Kilometer Radweg zum Hafen, um von dort mit der «MS Eilun´ eine Naturbesichtigungsfahrt zu den Seehundsbänken zu unternehmen.
Der kleine Kahn war bis zum letzten Platz gefüllt. Entsprechend gut gelaunt der Kapitän.

Da kamen die Seehunde in Sicht. Bis zu 2 Meter lang und 100 Kilo schwer ließen sie sich auf der Sandbank den Pelz bescheinen. "Bitte seien Sie jetz still", sagte der Kapitän, "die Seehunde sind sehr scheu und haben gute Ohrn."

Um uns herum versuchten Eltern ihre lärmenden Bälger im Zaun zu halten. Dann wurden die Ferngläser ausgepackt. Meine Frau war es (Sie hatte sich - "Darf ich mal bitte, nur ganz kurz..."- ein Glas ausgeliehen), die den rosanen Bauch zwischen den Jungtieren entdeckte. "Max! Das ist doch der Max da hinten." Die anderen sahen ihn nun auch und winkten und riefen: "Max! Mäxle! Hierher!"

Fluchtartig verließen die Robben die Sandbank und tauchten davon. Eine Zeit lang lag das Mäxle allein im Sand, dann sprang er hinterher. Ñ
Meeresbiologen der Robbenaufzuchtstation St. Peter-Ording wurden herbeigeholt und am nächsten Tag gelang es, den Max mit Hilfe eines Betäubungsgewehres einzufangen. Damit schien die Geschichte ein glückliches Ende gefunden zu haben.

Auf der Rückfahrt, mit einem anderen Dampfer, begegnete uns noch einmal die wieder vereinte Familie Schäufele. Vater Schäufele kam rüber, um sich bei meiner Frau zu bedanken, und daher weiß ich auch, wie die Geschichte vom kleinen Max ausgegangen ist.

Seine Mutter hatte ihn erst einmal gründlich abgeschrubbt, aber der Fischgeruch blieb an ihm haften. Wochenlang. Statt Keksen wollte er nur noch Krabben und rohen Fisch. Stundenlang lag er in der Sonne, hob nur gelegentlich den Kopf und rief etwas Unverständliches (Es klang wie "Ujing, ujing"). "Ja, unser Sohn ist viel ruhiger", bestätigt Mutter Schäufele. Sie hofft, er bleibt so.

Und nächstes Jahr, das haben sie dem Maxi versprechen müssen, kommen sie wieder nach Amrum.
Hans Duschke

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