Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Spiegelfechterei

"Nehmen auch Sie an unserer Umfrage teil!" schrieb mir der Berliner Bausenator vor einem Jahr. "Das Institut āBogen & Frage´ braucht Ihre Mitarbeit, um mit dem zweiten Mietspiegel für Ostberlin eine wichtige Orientierungshilfe bei der Bestimmung ortsüblicher Vergleichsmieten auszuarbeiten." Unter den Teilnehmern wird eine zweieinhalbtägige Seereise von Kiel nach Göteborg verlost, außerdem ein Fotoapparat im Wert von einhundert Mark. Klar, ich will den Fotoapparat. Damit Bogen & Frage auch wirklich zu mir kommen, kreuze ich auf der Vorab-Befragung an, daß es bei mir eine Mieterhöhung gab, obwohl dies gar nicht stimmt.

Bogen & Frage schicken ein Mitarbeiterpärchen, sympathisch, circa dreißig Jahre. Beide sehen aus wie Soziologie-Studienabbrecher. Sie sehr agil, er etwas ruhiger. "Wissen Sie, es geht darum, ob Ihr Vermieter zuviel Geld kassiert." An meinem Küchentisch purzeln die Fragen durcheinander: Wieviel Quadratmeter, bruttokalt oder nettowarm, Betriebskostenvorauszahlung und Kohlengeld? Die Leute von Bogen & Frage wollen schnell fertig werden, denn sie bekommen Honorar, und viel sei das nicht. Deshalb helfe ich auch einige Male, als sie nicht so genau wissen, wohin mit dem Kreuz. Auch, als sie es sogar schon an der falschen Stelle gesetzt haben.

Mein Mietspiegelfeld ist: Uraltes Haus, kein Innen-WC, kein Bad und keine Zentralheizung. Weil um die Ecke einige Geschäfte sind, habe ich trotzdem ein wohnwerterhöhendes Merkmal. Die repräsentativ ermittelte Grundmiete ist höher als diejenige, die ich zahle. Die Wohnungsbaugesellschaft darf mir also eine Mieterhöhung schicken. Und den Fotoapparat bekam wohl jemand anders.
cd

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  Ausgabe 08 - 1999