Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Die Schreibtischtäter saßen auch in Berlins Mitte

Ein Mahnmal für die Euthanasiemorde der Nazis steht noch aus

"Haus des Eigensinns - Museum der Wahnsinnigen Schönheit", dieser Titel läßt nicht erahnen, daß in Berlin neben dem Haus der Wannseekonferenz, der Topographie des Terrors und dem neuen Jüdischen Museum ein weiteres mit einem Museum kombiniertes Mahnmal für NS-Opfer entstehen soll. Wenn es nach dem Freundeskreis des Museums "Haus des Eigensinns" geht, soll unmittelbar hinter der Philharmonie auf dem Grundstück der Tiergartenstraße 4 ein 1100qm großer Museumsneubau der über 270 000 Euthanasieopfer gedenken. Prominente aus Politik, Kultur und Wissenschaft unterstützen diese Forderungen. Zu ihnen zählt neben Walter Jens und Bischof Huber auch der englische Historiker Henry Friedländer, der mit seinem Standardwerk "Die Entstehung des Nazigenozids - von der Eu-thanasie zur Endlösung" einen wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Kapitels der Naziverbrechen hatte.

Kulturforum mit Vergangenheit

Der Ort für die Gedenkstätte ist mit Bedacht gewählt. In einer alten Villa in der Tiergartenstraße 4 wurde seit 1939 die "Aktion T4" geplant. So lautete unter den Nazis die aus der Adresse abgeleitete Tarnbezeichnung für die von der "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" organisierte systematische Registrierung und Tötung geistig Behinderter. "Vergleichbar mit dem Haus der Wannseekonferenz saßen auch in der Tiergartenstraße die planenden und organisierenden Schreibtischtäter", meint René Talbot, der Sprecher der Berliner Initiative "Haus des Eigensinns".

Erst 1989 wurde auf Initiative der Lokalgeschichtswerkstatt "Aktives Museum" nach zähen Ringen mit den Berliner Kommunalpolitikern vor dem Eingang der Philharmonie eine unauffällige schwer entzifferbare Tafel in den Boden eingelassen, die an die Terrorzentrale erinnerte.

In den sechziger Jahren, als das Gelände mit der Errichtung des Westberliner Kulturforums eine enorme Wandlung durchmachte, hatte niemand daran gedacht. Deutschland sollte sich an diesem Ort nach den Willen der Berliner Regierung als Land der Dichter und Denker präsentieren. Die Orte der Richter und Henker sollten vergessen werden und lange Zeit war auch niemand da, der daran erinnerte.

Für Talbot ist diese Umgebung genau der richtige Ort für das Museum. "Im kulturellen Herzen der Hauptstadt Berlin, gleich um die Ecke von den zentralen Institutionen der Demokratie soll die Tiergartenstraße 4 ein einprägsamer Ort werden". Doch ob er damit bei dem derzeitigen Berliner Stadtentwicklungssenator Peter Strieder Gehör findet, ist fraglich.

Geschichtsvergessene Hauptstadt

Bisher drehte sich die städtebauliche Auseinandersetzung um die Frage, ob das Viertel im Stil der Scharoun-Architektur weitergebaut werden soll oder nicht. Laut taz hat sich die Mehrheit des Berliner Abgeordnetenhauses für die Kontinuität im Baustil des Kulturforums ausgesprochen. Ein Haus des Eigensinns ist in diesen Plänen nicht vorgesehen.

Es würde auch schwer in die geschichtsvergessene Hauptstadt-Euphorie passen, die sich gegenwärtig in Berlin breit macht. Schließlich soll das Museum keine abgeschlossene Geschichte vermitteln, sondern Bezüge bis in die Gegenwart herstellen. "Die zur Euthanasie führenden Diskurse begannen um die Jahrhundertwende und waren auch nach 1945 nicht zu Ende", so Talbot. Das belegt eine vom "Bund der Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten" konzipierte Ausstellung, die in dem Museum ihren festen Platz bekommen soll. Für die Euthanasieopfer war mit dem Ende der Naziherrschaft die Schreckenszeit in den seltensten Fällen zu Ende. Die Meisten blieben in ihren Anstalten bis auf wenige Ausnahmen unter der Oberaufsicht des gleichen Personals wie zwischen 1933 und 1945. In den ersten Nachkriegsjahren war die Zahl der Hungertoten unter den Lagerinsassen extrem hoch. Wenn ein Überlebender doch zu frech wurde und gar Entschädigung forderte, konnte es ihm ergehen wie Werner K., der in der Nazizeit in den Wittenauer Kliniken in Berlin zwangssterilisiert worden war. Nachdem er den Leiter der FU-Kinderklinik Gerhard Kujath und den damals noch in den Wittenauer Kliniken amtierenden Oberarzt Willi Behrendt die Beteiligung an der Ermordung von Erwachsenen und Kindern vorgeworfen hatte, wurde er mit der Begründung, von ihm gehe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus, 1964 zwangsweise in eine Düsseldorfer Nervenklinik eingewiesen. 1990 wurde die Sterilisierung von "Einwillungsunwilligen" wieder gesetzlich ermöglicht.

Streit um Prinzhorn-Sammlung

Die fortdauernde Mißachtung der Eu-thanasieopfer zeigt sich für Talbot auch beim Streit um die Prinzhorn-Sammlung. Dabei handelt es sich um über 5000 künstlerische Exponate von Psychiatrieinsassen. Ihre Namen und ihr weiteres Schicksal sind weitgehend unbekannt geblieben. Einige der Künstler verloren bei den T4-Aktionen ihr Leben, wie die Psychiatriekritiker mittlerweile ermittelt haben.

Zur Zeit lagern die Werke im Keller der Heidelberger Universitätspsychiatrie, der Wirkungsstätte des Psychiaters Hans Prinzhorn. Er hatte die Exponate zwischen 1919 und 1921 aus Deutschland und der Schweiz von Psychiatriepatienten zusammengetragen. Die Heidelberger Universität sieht sich als rechtmäßiger Eigentümer und will die Prinzhorn-Sammlung ab 2001 in einem Heidelberger Museum präsentieren und den Sammler ehren. Besonders empört sind die Psychiatriekritiker über den von den Heidelbergern gewählten Ort für die Ausstellung. Dazu soll ein ehemaliger Hörsaal renoviert werden, in dem der berüchtigte Professor Peter Schneider gelehrt hat, der Heidelberg zum Motor des Euthanasieprogramms machte und trotzdem bis heute selbst von progressiven Medizinern wie Klaus Dörner als "wissenschaftlich im 20.Jahrhundert kaum zu überbietender Theoretiker" gefeiert wird. Aber auch von dem Prinzhorn selber, der wegen seines Todes 1933 nicht mehr am Eu-thanasieprogramm mitwirken konnte, sind hitlerfreundliche und antisemitische Schriften überliefert, wie Dr. Thomas Röske in dem Buch "Der Arzt als Künstler - Ästhetik und Psychotherapie bei Hans Prinzhorn (1886-1933)" herausarbeitete.

Zuviele Mahnmale?

Die Initiative "Haus des Eigensinns" will die Kunstwerke in das geplante Museum nach Berlin holen, um die vergessenen Künstler zu ehren und ihnen ihre Würde zurückzugeben. "Die Ausstellung ist ohne die Einwilligung der Patienten gesammelt worden und muß jetzt den Vertretern der Opfergruppen zur Verfügung gestellt werden", meint Talbot. Dafür bekam er prominente Unterstützung. "Wir sind bisher irrtümlicherweise davon ausgegangen, daß die Universität Eigentümer der Ausstellung ist", schrieb der Staatsminister für Kultur und Medien Dr. Naumann an die Initiative. Obwohl die Befürworter Kontakte zu allen Berliner Parlamentsfraktionen haben und die Gespräche mit den VertreterInnen des Kulturausschuß positiv verlief, steht der Museumsplan bisher noch auf dem Papier. Das hat nicht nur seinen Grund in dem schon beschriebenen Ort. Nach dem Entscheid über das Holocaust-Denkmal will niemand mehr von weiteren Mahnmalprojekten hören. Holocaust-Mahnmal-Gegner Eberhard Diepgen hat schon deutlich gemacht, daß er ein weiteres Mahnmal für NS-Opfer in Berlin keinesfalls hinnehmen werde.
Peter Nowak

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