Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Protest gegen die Menschenrechtsstreiter?

Das Bundeswehr-Gelöbnis predigt Wasser und meint Wein

Ein Militäreid, der sich dem Antifaschismus verpflichtet, sei nicht der schlechteste, schrieb ich im scheinschlag 5/99. Anlass dazu waren die Umbaupläne im KZ Sachsenhausen, denen zufolge dort auch der Appellplatz abgeräumt werden soll, auf dem die Soldaten der NVA der einst eben solche Eide geleistet hatten. Mit dem Fahnenschwur im KZ sollte der helle moralische Schein des Antifaschismus sich auch auf den sozialistischen Staat, seine Armee und alles ergießen, was beide taten. Die Bundesrepublik nennt das Geschichtsmissbrauch und betont gern ihre ganz anderen Formen des Gedenkens.

Indes fand die DDR-Praxis, frische Armee-Zöglinge auf den Antifaschismus zu verpflichten, eine seltsame Wiederaufnahme. Am 20. Juli weihten Kanzler Schröder und Verteidigungsminister Scharping höchstselbst an der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" im Bendlerblock 432 Jungsoldaten zum Waffendienst fürs Elternland, um ein Zeichen zu setzen, welchem Teil der Wehrmachtstradition die Bundeswehr sich nahe fühlt. Auch wenn der so gewürdigte Offizierskreis um Graf Stauffenberg, 1944 Organisator des gescheiterten Bombenattentats auf Hitler, fraglos zu den besten Details der schändlichen deutschen Militärgeschichte 1933-45 gehörte, war der Tag einer der schwärzesten der Schröder-Regierung. Es wurde klar: ein Militäreid, der sich dem Antifaschismus verpflichtet, ist der schlechteste nicht, aber auch nicht automatisch der beste.

Der Bendlerblock war nicht nur die Zentrale des Aufstands und der Hinrichtungsort einiger seiner Anführer, sondern auch das Organisationszentrum für Hitlers Angriffskriege. Elf Jahre lang beteiligten sich daran auch die aufständischen Offiziere, und erst mit ihrem letzten, zweifellos hochrespektablen Schritt unterschieden sie sich von all den Befehlserfüllern und Überzeugungstätern ihrer Armee. Dass Scharping auf den bei aller Ehrenhaftigkeit zwiespältigen Stauffenbergkreis zu-rückgreifen muss, um seinen Rekruten den Antifaschismus in der deutschen Militärtradition ans Herz legen zu können, zeigt auch, dass es zumindest in den höheren Ebenen nicht eben viele Beispiele der Befehlsverweigerung aus moralischer Standhaftigkeit gab.

Wofür jetzt das Gelöbnis?

Dass mit Schröder und Scharping zwei der höchsten Vertreter des Staates sich der antifaschistischen Neuorientierung annehmen, ist sicher erfreulich. Mit dem Beschluss zum Holocaust-Mahnmal ergäbe das ein beruhigendes Bild vom Geist der Republik. Aber Nachfragen drängen sich auf: War die Bundeswehr bisher nicht eindeutig antifaschistisch? Ist die Bundesregierung so selbstkritisch, dass sie Soldaten rät, ihre Befehle zu prüfen? Oder wofür sonst brauchten Schröder und Scharping jetzt das Gelöbnis?

Offiziell wollten sie die Praxis von Scharpings Vorgänger Volker Rühe durchbrechen, mit den Gelöbnissen historische Ereignisse für eigene politische Ziele auszubeuten. Außerdem sollte - wie bei Rühe - die gesellschaftliche Integration der Staatsbürger in Uniform demonstriert werden. Gescheitert ist beides. Denn das Gelöbnis fand vor einem völlig neuen Hintergrund statt: Im Kosovo-Krieg diente die Bundeswehr erstmals als Angriffsarmee, und das, wo auf ihr der Stempel faschistischer Vorgeschichte liegt. Da sorgen Kanzler und Verteidigungsminister sich um ein positives Erscheinungsbild der Bundeswehr. Um dieses, so Schröder, habe sie sich mehr als jede andere Armee bemühen müssen, doch jetzt, nach dem Kosovo-Krieg, scheint ihm das in bewunderswerter Weise gelungen. Auch Scharping will sich nicht durch die Geschichte jeden Glauben an eine bessere Zukunft nehmen lassen. Beide Politiker halten es für richtig, der Bundeswehr immer neue Tätigkeitsfelder zu erobern, weil, so Scharping, Erinnerung nicht nur Gedenken sei, sondern auch ein Auftrag für die Zukunft.

Unbeschädigtes Symbol

Da brauchten Schröder und Scharping am Bendlerblock ein unbeschädigtes Symbol, das die Bundesregierung als Verein hochmoralischer Menschen und die Bundeswehr als geläuterte Truppe vorstellt. Es sollte sich der helle Schein von antifaschistischer Tradition auch auf Bundesregierung, ihre Armee und alles, was beide tun, ergießen, ganz wie bei der NVA. Darum auch verglich Scharping so augenrollend wie unangemessen Jugoslawien mit Hitlerdeutschland. Mit dem antifaschistischem Weihrauch versuchen sie die nachträgliche Rechtfertigung des Kosovo-Krieges.

Deshalb geriet das Gelöbnis schließlich zum Hochsicherheitsereignis mit einer Alibi-Öffentlichkeit. Die Veranstaltung am Bendlerblock bewies genau das Gegenteil von Öffentlichkeit und Gesellschaftsintegration der Armee. Selten überwachte der Staatsapparat 1000 Demonstranten so paranoid, selten reagierte er so überreizt wie nach dem gestörten Gelöbnis, dem Büro- und Wohnungsdurchsuchungen und Gerichtsverfahren folgten. Bekundet wurden so nur die Sonderstellung des Militärs, sein undemokratischer Anspruch auf Unantastbarbeit und seine Nähe weniger zum Bürger als zur Staatsgewalt.

Die Kritiker der Aktion sagten das vorher. Sie sehen in öffentlichen Bundeswehraktionen ein Zeichen für die Militarisierung der Republik und im Gelöbnis ein sinnentleertes, archaisches Ritual, bei dem die Öffentlichkeit zudem verweigert wird. Archaisch ist das Ritual, sinnentleert aber gerade nicht. Seine Gefährlichkeit liegt eben darin, dass seine Veranstalter es mit ihrem Sinn anfüllen. Auch die öffentliche Präsentation ist nicht die Hauptfrage. Denn wichtig ist nicht weniger, wo etwas stattfindet, als was geschieht. Das Problem ist der Eid. In einer Zeit, wo gerade die NATO und die EU-Staaten erklären, die Universalität der Menschenrechte stehe über nationalen Interessen, verpflichtet der Eid noch immer zur Treue gegenüber dem einen Staat Deutschland und dessen Verfassung.

Kadavergehorsam oder Menschenrechte

Eben für diesen Zweifelsfall bringen Schröder und Scharping den Stauffenberg-Kreis in Stellung. Sie legen den Soldaten ans Herz, sich in der Not für die Menschenrechte zu entscheiden. Gleichzeitig aber verwischen sie die Grenzen zwischen den Alternativen. Sie haben die Verfassung, die Angriffsoperationen der Bundeswehr ausschließt, immer weiter ausgelegt, um nach Jugoslawien zu fliegen. Sie hat dafür internationales Recht verletzt. Aber sie tut es unter der Flagge von Menschenrechte und Antifaschismus. So ist ihre Aufforderung, dem Stauffenbergschen Weg zu folgen, unaufrichtig. Denn im Grunde sagt sie: Ihr könnt den Gehorsam verweigern, aber dazu gibt es keinen Grund. Mit uns steht ihr auf der richtigen Seite.

Dabei haben auch Schröder und Scharping in der Illusion, inhaltlich die Macher und moralisch die Zügelhalter zu sein, sich längst selbst dem Automatismus militärischer Mechanismen ergeben. Die Militarisierung Deutschlands liegt nicht in öffentlichen Gelöbnissen, sondern darin, dass sich seit dem Golfkrieg 1991 Regierung und Regierte daran gewöhnt haben, Krieg als die legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln aufzufassen. Die Medienfront für und der geringe Protest der Bürger gegen den ungesetzlichen Kosovo-Einsatz ist dafür Indiz.

Es könnte sich erweisen, dass gerade die kleine Protestdemonstration, zu der nur einer von 3500 Berlinern kam und die Grünen nicht, rechtzeitig vor jenem Mechanismus warnte, der die Offiziere des 20. Juli 1944 solange in der Wehrmacht hielt: die militärische Logik, nach der der eigene Staat stets der beste ist und verteidigt werden muss; der Korpsgeist, in der Befehl Gesetz ist und Treuebruch das höchste Verbrechen im Mythos soldatischer Tugend; Angst und die vernagelte Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Verhindert werden muss eine Entwicklung, bei der endlich selbst am künftigen Holocaust-Mahnmal Militäreinsätze eine antifaschistische Weihe erhalten, obwohl es, wie alle Denkmäler und alles Gedenken, verhindern soll, dass wir noch einmal Verbrechen begehen wie die Deutschen im Faschismus und dass Soldaten wieder Mörder werden - und sei es in der Meinung, die besten Verteidiger der Menschenrechte zu sein.
Stefan Melle

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 1999