Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Blechlawine durchs Wohngebiet

Die Habersaathstraße wehrt sich gegen den Innenstadtring
Gewerbehöfe abrissbedroht

Ein klassischer Verkehrsplaner kann Lücken im Straßennetz nicht ertragen. Lücken wollen geschlossen werden, es juckt dem Verkehrsplaner in den Fingern, bis er das Kurvenlineal zur Hand nimmt und auf dem Stadtplan mit ein paar schwungvollen Linien das Achsen- und Ringsystem komplettiert.

Die real existierenden Stadtstruktur steht dem allerdings oft im Weg, zum Beispiel beim Innenstadtring: Der schöne Hauptstraßenhalbkreis aus Warschauer, Petersburger, Danziger, Eberswalder und Bernauer Straße endet am Nordbahnhof abrupt. Weiter geht´s nur mit mehrmaligem Abbiegen über die Garten-, Invaliden- und Heidestraße zum Tiergartentunnel. Den Autoströmen, die der Senat auf diesem Ring um die Innenstadt herumleiten möchte, kann man aus Sicht der Planer einen solchen Zickzack-Kurs nicht zumuten. Zu viele Ampeln und die Straßenbahn würden den Ringverkehr stauen.

Schneise

Also setzte man zur Umfahrung dieses Nadelöhrs ein Neubaustück in den Stadtplan ein: In Verlängerung der Bernauer Straße soll die Strecke quer über das Nordbahnhofgelände führen und auf Höhe der Habersaathstraße auf die Chausseestraße treffen. Von dort soll der Verkehr durch die Habersaath- und Scharnhorststraße zur Invalidenstraße geleitet werden, in der Gegenrichtung über den Schwarzen Weg.

Der Plan hat eine Menge Nachteile: Die denkmalgeschützten Gebäude auf dem Fabrikgelände Chausseestraße 34/35 müssten abgerissen werden, die bisher ruhige Habersaathstraße müsste vierspurig ausgebaut werden und der neu angelegte Invalidenpark würde zu einer großen Verkehrsinsel degradiert.

Vierspurig

Die Änderung des Flächennutzungsplanes, die für die Neutrassierung einer Hauptverkehrsstraße nötig ist, wurde im letzten Jahr mitsamt der Bürgerbeteiligung und der öffentlichen Auslegung von Senatsverwaltung für Stadtentwicklung durchgezogen, ohne dass die Betroffenen davon benachrichtigt wurden. Erst nach dem Senatsbeschluss für die Planung begannen die Anwohner und Gewerbetreibenden sich gegen die Straßenbau zu wehren. Anfang Juni gründeten sich zwei Bürgerinitiativen.

In der BI Habersaathstraße machen die Anwohner der beschaulichen Wohnstraße mobil gegen die Zerschneidung ihres Viertels. Zur Einrichtung der vier Fahrspuren müssten alle Parkplätze am Straßenrand verschwinden. Die 28 000 Autos, die voraussichtlich täglich durch die Straße dröhnen werden, würden einen erheblichen Geräuschpegel entwickeln und ein Überqueren der Straße unmöglich machen.

300 Arbeitsplätze

Die Chausseestraßen-Initiative vertritt die 86 kleinen und mittelständischen Betriebe, die durch den Abriss des Gewerbehofes von Verdrängung bedroht sind. In der ehemaligen Aufzugsfabrik hat sich eine interessante Mischung aus Handwerksbetrieben, Dienstleistungsunternehmen und Modeateliers etabliert, die sich hier nur angesichts der günstigen Mieten in Mitte halten können. Die von Wirtschaftssenator Branoner vorgeschlagenen Ersatz-standorte liegen alle außerhalb der Innenstadt. Insgesamt sind rund 300 Arbeitsplätze gefährdet.

Die geplante Trasse hat nicht nur viele Nachteile, sondern auch kaum Vorteile: Sie macht genauso viele Schlenker wie die ursprüngliche Verkehrsführung. Die Initiativler vermuten deswegen, dass es dem Senat eigentlich darum geht, später die Habersaathstraße über die Scharnhorststraße und den Schifffahrtskanal direkt zur Einfahrt des Tiergartentunnels an der Döberitzer/Heidestraße zu verlängern.

Hoffest

Spätestens bis zur Eröffnung des Tiergartentunnels 2004 soll die Stadtringlücke geschlossen sein, doch ist zu erwarten, dass nach den Abgeordnetenhauswahlen nochmal neu über die Straßenplanung verhandelt wird. Die Anwohner und Gewerbetreibenden wollen sich auf diese Hoffnung nicht verlassen und laden zu einem Hoffest am 28. August von 14 bis 24 Uhr in die Chausseestraße 34/35 ein, wo Ausstellungen, offene Ateliers, Verkaufsstände und Musik auf neugierige Besucher warten.
js

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