Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Wien schwarzweiß

"Kubanisch Rauchen" von Stephan Wagner

Wer glaubt, es handele sich hierbei um delikate Rauschmittel, wird enttäuscht werden. Kubanisch Rauchen heißt Rauchen ohne abzuaschen. Für Regisseur Stephan Wagner ist es ein Lebensgefühl: Aus dem Wenigen, was man hat, holt man das Maximum heraus.

Das versuchen auch seine Wiener Helden Paul und Bernd, beide Anfang Dreißig. Irgendwie sind beide mit ihrem Leben unzufrieden.

Bernd ist seinen Job als (Schutz) Geldeintreiber leid, Paul befindet sich auf dem besten Wege in ein biederes Leben. Seine Freundin Eva hat einen sicheren Job und vermögende Eltern, denen mit quälender Regelmäßigkeit Kaffeebesuche abgestattet werden müssen. Paul und Eva können sich nicht mehr entdecken.

Als der alte Herr Waranovsky Bernd seinen Altwaren-Laden zum Verkauf anbietet, überlegen die beiden nicht lange. Bernd bittet seinen "Paten" Dragan um einen Kredit; Paul wird von seinem Schwiegervater eine Bürgschaft für den Bankkredit gewährt. Der Neustart in Antiquitäten funktioniert, aber die Vergangenheit läßt sich nicht in eine der Kommodenschubladen wegschließen. Was sich Bernd in Gestalt seines alten Partners Erwin in den Weg stellt, ist für Paul die Bekanntschaft mit Lisa. Fortan muß er vor Eva Versteck spielen. Die neue Existenz gerät ins Wanken.

Zwar bekommen die beiden irgendwie die Kurve, aber die entstandenen Narben lassen kein Happy-End aufkommen. Obgleich der sympathische Bernd etwas deplaziert im Milieu des organisierten Verbrechens wirkt, strahlt der Film dennoch viel Wahrhaftigkeit aus. Der Wunsch nach Neuorientierung, nach einer selbstbestimmten Existenz ist-sofern man selbst dieser Generation angehört-nur zu gut nachvollziehbar. Dem stehen vielfältige (finanzielle) Abhängigkeiten gegenüber, die einen Balanceakt zwischen Diplomatie und Ausbruch erfordern.

Schade, daß solche (Film)Geschichten in Berlin kaum erzählt werden. Wien wirkt im Film angenehm unprätentiös, verstärkt noch durch das selten gewordene Schwarz-Weiß der Aufnahmen. Was in erster Linie dem schmalen Geldbeutel des Autorenfilmerproduzenten Stephan Wagner geschuldet ist ("Wir hatten das Budget eines Kleinwagens"), entwickelt eine eigene Ästhetik. Die Konzentration aufs Wesentliche fällt leichter.

Neben Simon Licht und Thomas Morris als Paul und Bernd gibt sich übrigens auch der durch John-Cassavetes-Filme bekannt gewordene Seymour Cassel die Ehre als Pate Dragan.
bwh

Kubanisch Rauchen (Österreich/Deutschland 1998), 88 Min.
Seit 19. August in den Kinos Hackesche Höfe, Eiszeit, Brotfabrik und Nord

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 1999