Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Sich windende, weiße Körper

Butoh im Orphtheater

Weiß bemalte, fast nackte Gestalten schlängeln sich an Bäumen entlang und aus dem Gras empor. Dazu spielt ein Mensch Sitar, Vögel zwitschern aus der Bandkonserve. Dann wird es dunkel, der Zug sammelt sich und beginnt eine Prozession mit Glöckchen und viel expressiver Gestik. Es ist fast dunkel, die Szenerie diffus beleuchtet. Ja, es ist eine Performance, genauer: Es ist eine Butoh-Performance. Eine Kunstform, die vor gut zehn Jahren ziemlich en vogue war und die schwer kurz zu beschreiben ist, setzt sie doch auf Assoziation und Gefühl der Zuschauer, also extrem auf Subjektivität. Man kann etwas mit den Gesehenen anfangen oder nicht. Eigentlich sehr bequem, müßte der Zuschauer sich nicht mit sich selber beschäftigen müssen. Es geht sehr um Leben und Tod. Und vor allem mit letzteren will in der Regel in Europa niemand zu tun haben. In Japan, dem Ursprungsland des Butoh, ist das anders. Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden.

Anfang August fand auf Schloß Bröllin in Mecklenburg-Vorpommern ein Sympsion unter dem Namen "Ex...it! 99, 2. international butoh & related arts" unter der künstlerischen Leitung von Delta RAĞi und Yumijo Yoshioka statt. Letztere ist keine Unbekante. Sie ist Mitbegründerin der Truppe "Tatoeba". Es trafen sich Tänzer und Choreographen aus Deutschland, Japan, den Niederlanden und Weißrußland, die sich zwei Wochen lang mit Butoh und dessen verwandten Künsten beschäftigten, wie der Titel der Veranstaltung schon sagt. Thematisch ging es natürlich um den Jahrtausendwechsel oder um den Ausgang (Exit) von etwas und um Veränderung. Und um Begegnung zwischen traditionellem Butoh und Künstlern, die nur im weitesten Sinne damit zu tun haben. Hauptsächlich wurde zwei Wochen lang in ländlicher Idylle zusammengearbeitet.

Zum Abschluß gab es eine eine Präsentation der enstandenen Arbeiten, die teilweise ernst, teilweise lustig waren. Dabei wurden sämtliche Räumlichkeiten für Installationen oder Performances genutzt, die Übergänge waren fließend. Und man konnte sich zwischen den Räumen frei bewegen und aussuchen, was man sich anschaut. Eine Kakerlakengruppe beispielsweise, die trotz Insektiziden sich munter im Müll tummelte und als ein Art dunkles Netz zusammen mit den Zuschauern übers Gelände wanderte. Vor lauter Gier ertranken sie im Tümpel , in dem ein lebloser Körper lag. Und jetzt darf geraten werden, was die damit wollten. Oder eine weiße Gestalt , die sich in einer grabähnlichen mit einer Glasscheibe zugedeckten Loch windet und nicht herauskann, daneben drei bis über den Bauchnabel in die Erde eingegrabene und sich dort unentschlossen windende weiße Gestalten. Expectation ist der Titel. Die Erwartung, daß irgendetwas passiert.

Einen Ausschnitt der in Bröllin enstandenen Arbeiten sind noch bis zum 29. August im SchokoLaden zu sehen. Natürlich ist dieser Ort nicht zu vergleichen mit dem Schloß, über dem so viele Sterne wie nie in Berlin leuchten, wenn es dunkel ist. Eine Bühne ist auch kein Stall, in dem dort die meisten Performances stattfanden, und ein Hof keine Wiese. Viel von der Atmosphäre des "Ursprungsortes" wird verlorengehen. Sicher werden aber die räumlichen Gegenbenheiten des Theaters im SchokoLaden (dem Orphtheater) in die Vorstellungen mit einbezogen werden.
ib

noch bis zum 29. August im Orphtheater im SchokoLaden, Ackerstaße 169/170, jeweils 21 Uhr

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