Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Draußen wäre schöner

In der Neuköllner Oper wurde es zu ernst

Ein Typ, der seine Frauen umbringt, weil sie zu neugierig sind und er um sein Leben fürchtet. Eine Wahrsagerin hat ihm prophezeit, daß die Neugier einer Frau ihn umbringen würde. Und da Frauen vor gut 200 Jahren nicht so viel wert waren in Europa, wird nur ein wenig getuschelt im weitläufigen Landadelbekanntenkreis. Zumal der böse Ritter Gut, Geld und Charme hat und ganz passabel aussieht, so großer Verführertyp. Der kann den Mädels und ihrer buckligen, respektive raffgierigen Verwandtschaft was bieten und kann sich zur Not Verwunderung einfach wegkaufen. Das ist der Stoff, aus dem romantische Schauerromane sind. Große Verzweiflung, viel Blut und Tränen. Vincent Price in Kniebundhosen! Wieso ist da keiner drauf gekommen vor 25 Jahren?

Dafür hatte aber vor 210 Jahren, also 1789 (!), ein belgischer Komponist namens Ernest Modeste Grétry die Idee für eine komische Oper. Die Geschichte an sich ist aber älter, nämlich gut 300 und mehr Jahre. Erstmals aufgeschrieben wurde sie von Charles Perrault in einer Märchensammlung. Die Figur des Ritter Blaubart als Frauenmörder und Tyrann geisterte allerdings schon vorher durch Überlieferungen. In der Oper geht es aber etwas moderner zu. Stichwort: Abrechnung mit dem Adel und Revolution.

Nun hat die Neuköllner Oper dieses Stück sich vorgenommen und sich ein wenig verhoben. Vielleicht liegt es an den teilweise nicht ausreichenden Sangeskräften der Darsteller, die Hauptfigur der Isaure einmal ausgenommen. Vielleicht liegt es daran, daß eine Geschichte, die einmal politische Brisanz hatte dadurch, daß sie das Vorrecht der Mächtigen in Frage stellte und den Untergang der herrschenden Klasse - egal welcher - beschwor, heute nicht mehr interessant ist. Möglicherweise hat man die komischen Aspekte nicht so gut herausstellen können, oder es war die falsche Zeit und der falsche Platz.

Eigentlich war es von allem ein bißchen. Und so kommt es, daß man sich nicht so richtig ärgert hingegangen zu sein, amüsiert hat man sich aber auch nicht so richtig. Immer ist der Hintergedanke im Kopf: Ja, wenn das draußen wäre, wäre es genau das Richtige für einen lauschigen Sommerabend. Da macht es nichts aus, wenn einer mal schief singt. Da ist immer noch genügend Ablenkung. Und richtig: Die eigentliche Premiere fand in Neuzelle statt, wo es Ruinen gibt und die Inszenierung wohl gut hingepaßt hat. Wahrscheinlich ist dieser Umstand ihr größtes Handicap. Auf der nur aus Brettern, Türen und Treppchen bestehenden Bühne der Neuköllner Oper fehlt immer etwas, sagen wir mal Atmosphäre. Zumal die Regie wohl mal ernsthaft eine Oper aufführen wollte, was nicht ganz in den Rahmen paßt, vielmehr der Erwartungshaltung nicht entspricht, die Unterhaltung und Witz forderte und nur Abspielen in gemäßigt historischen Kostümen bekam. Obwohl die Partie der Isaure, der weiblichen Hauptperson, gut gespielt und gesungen war und die Gestaltung der beiden habgierigen Brüder ebenfalls.Vielleicht war es schon zu kalt am Premierentag, kurz nach Sophie, oder es lag am gräßlichen Parfüm der Frau in der vorderen Reihe. Genaueres war nicht zu ermitteln.
Ingrid Beerbaum

"Ritter Blaubart", Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131-133, noch bis zum 5. September, jeweils 20 Uhr

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