Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Flaschenpost

Vor 30 Jahren starb Theodor W. Adorno

Als Theodor W. Adorno am 13. August 1969 auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beigesetzt wurde, befürchtete die Polizei Zwischenfälle durch protestierende Studenten, denn die Kluft zwischen ihnen und Adorno war Anfang des Jahres beinahe unüberbrückbar geworden, als der Philosoph das besetzte Institut für Sozialforschung durch die Polizei räumen ließ; das erschien unverzeihbar, skandalös. Adorno sah im studentischen Protest eine falsche Praxis - "Aktionismus ist regressiv" -, die Studenten konnten es nicht verwinden, daß ihnen die theoretische Vaterfigur, von der sie ihre Gesellschaftskritik ja gelernt hatten, die Unterstützung versagte. Adorno stellte resignativ fest: "Ich habe ein theoretisches Denkmodell aufgestellt. Wie konnte ich ahnen, daß Leute es mit Molotowcocktails verwirklichen wollten." Für ihn war jegliche Art von richtiger Praxis versperrt, Widerstand einzig formulierbar in der ästhetischen Form. Doch da mochten ihm seine Schüler erst recht nicht folgen. Für die 68er-Generation waren Beatles und Rock´n´Roll die Begleitmusik zu der Revolte, die sie probten. Adornos bildungsbürgerlicher Elitarismus war ihnen so fremd wie suspekt. Retrospektiv wirft es doch ein bezeichnendes Licht auf das Scheitern der 68er, daß sie seinen ästhetischen Standards nicht folgen konnten oder wollten.

Kunst, so ein vielbemühtes Adorno-Zitat, sei die gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft - der einzige Ort, an dem noch Alternativen entwickelt werden können. Arnold Schönbergs atonale Revolution, die Suspendierung der Tonalität und aller mit ihr verbundener Hierarchien weist so einen Weg, wie eine befreite Gesellschaft aussehen könnte. Ein kritischer Einspruch gegen das Bestehende kann natürlich immer nur die jeweils fortgeschrittenste, radikalste Kunst sein. Für Adorno waren das Künstler wie Schönberg und Beckett, die inzwischen "klassische" Moderne, sein Anspruch unerbittlich: "Die Unmenschlichkeit der Kunst muß die der Welt überbieten um der Menschlichkeit willen." Dieses Projekt einer kritischen Kunst scheint mir unbedingt verteidigenswert in postmodernen Zeiten, zu denen in der Kunst alles erlaubt und somit auch gleichgültig ist. Über Adornos Abrechnung mit Strawinski oder dem Jazz schütteln heute viele den Kopf. Wo aber nicht mehr über richtig und falsch in der Kunst gestritten wird, ist sie endgültig zur Freizeitgestaltung verkommen, wo halt jeder seinen Geschmack hat. Aber: "Falsch ist der Untergang von Kunst in der falschen Ordnung."

Die normativen Forderungen in der Philosophie der neuen Musik werden heute meist ebenso als überzogen zurückgewiesen wie die Thesen im sogenannten Kulturindustrie-Kapitel in der Dialektik der Aufklärung. "Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht", heißt es dort, "Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen." Wenn diese Analyse der Massenkultur der vierziger Jahre überzogen gewesen sein sollte, dann hat der unheilvolle Fortgang der Geschichte sie mittlerweile bestätigt. In der Postmoderne freilich wird zynisch die souveräne Verfügung des Konsumenten über 100 Fernsehprogramme gefeiert. Geschrieben wurden die beiden erwähnten Bücher im amerikanischen Exil, vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Nationalsozialismus. In einem Nachruf schrieb Adornos Schüler Hans-Jürgen Krahl: "Adornos intellektuelle Biographie ist bis in ihre ästhetischen Abstraktionen hinein von der Erfahrung des Faschismus gezeichnet."

In diesen Zusammenhang gehört auch das wahrscheinlich bekannteste, meistens mißverstandene Adorno-Zitat, demnach es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Wenn man dem Text weiter folgt, liest man: " (...) und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben." Die Position dessen, der da spricht, ist auch unterminiert. Trotz seiner Kritik der Kulturindustrie - ebenfalls auf den ersten Blick widersprüchlich - war Adorno für seine Zeit in den Medien, im Radio, aber auch im Fernsehen, ungewöhnlich präsent. In bequemer Resignation zurückgezogen hat er sich nicht.

Theodor W. Adornos Philosophie war getragen von einem anti-systematischen, auch anti-akademischen Impuls, sein Ideal des Schreibens essayistisch, der Essay allerdings immer "in Deutschland als Mischprodukt verrufen." Der Musik und der Literatur, die für ihn entscheidend waren, näherte er sich in einer Sprache von höchstem literarischen Anspruch, voll ungewöhnlicher Bilder und Metaphern, in der er die Erfahrung dieser Kunstwerke nachzuzeichnen suchte.

In der Negativen Dialektik heißt es: "Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe." Diesen Imperativ diskursiv zu behandeln, so Adorno weiter, wäre Frevel.
Florian Neuner

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