Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Was will ich hier eigentlich?

Eine Kompaktanlage? Einen Radiorekorder? Wenn ich das wüsste. Mit CD-Schlitten oder ohne? Ein Tape oder zwei Tapes? Weckfunktion? Fernbedienung? Immer dieses Hightech-Heckmeck. Bis vor kurzem war mein rechter Fuß die einzige Fernbedienung, die ich je in die Hand nahm. Eine ideale Fernbedienung, voll-ökologisch und nachhaltig: idiotensicher im Gebrauch, nie kaputt, und wenn man sie regelmäßig wäscht, hat man jahrzehntelang Freude dran.

Bah, was ist denn das? Diese Rekorder ... Die Boxen wie Facettenaugen. Gigantische Insektenköpfe. Das ist ja ekelhaft! Ich komm mir ja vor wie in der Vitrine von Ernst Jünger. Dass man sowas überhaupt verkaufen darf! Andrerseits: Wenn man morgens die Augen aufmacht, steht man wenigstens gleich senkrecht im Bett. Und das da? Military-grün, einsfuffzig breit. Sieht aus, als hätte jemand eine Panzerfaust und zwei Blechkanister zusammengeschraubt. Entertainment für das Stahlgewitter. Will wahrscheinlich nur Rammstein spielen, das Teil. Bei Blues, da spuckt es brennendes Benzin.

Mir helfen? Sind sie Ernst Jünger? Nein, das ist mir schon klar, dass wir beide etwa gleich alt ... Ach, vergessen Sie´s. War´n Witz. Ja. Sehr höflich von Ihnen, danke. Sie können jetzt wieder aufhören zu lachen.

"Ich verhungere! Ich verhungere!" Ach ja, es ist ja Sonntag Nachmittag. Die ganzen Arbeitskranken müssen jetzt einkaufen, weil sie unter der Woche nicht dazu kommen. Vorneweg die Tertiärsektorfuzzis. Die Reklamefredis und die Journalistinnen. Double income, no Zeit. Das ist doch nur gerecht. Warum soll das denn nun plötzlich anders werden?

Ein kostümierter Spargel stakst vorbei, knacks, hoppala, der Absatz. "Ich verhungere doch sonst", haucht sie. Darf ich´s wagen? Ich geleite sie humpelnd zur Lebensmittelabteilung. Humpelnd: beide. Sie wegen verstauchtem Knöchel; ich, um ihr nicht das Gefühl zu geben, ich würde sie irgendwie ausgrenzen, nur weil sie humpelt. Wenn wir jetzt noch synchron humpeln würden, wäre das Idyll perfekt. Stattdessen schwingen unsre Köpfe auf zwei versetzten Sinuskurven die X-Achse entlang. Ziel: Kühlregal. Selig greift die Dame nach einem 62,5-Gramm-Becher Halbfettmargarine. Höchste Zeit, der Großstadt-Anonymität Lebwohl zu sagen.
Allegra? frage ich. Sie schüttelt den Kopf.
Amica?? Auch nicht.
Brigitte???
"Petra."
Schön, ich bin der Bov.
"Komischer Name."

Moment mal! Ich finde, kostümspargelhafte Frauenzeitungsschnatzen, die am Sonntag Nachmittag einen - 62,5 Gramm, das macht ... - Achtelpfundbecher Halbfettmargarine kaufen, um nicht zu verhungern, die haben andrer Leute Namen nicht komisch zu finden; die hätten, wenn´s nach mir und den Kolleginnen von der HBV ginge, überhaupt gar nichts zu lachen!
"Oh, das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass deine Mutter Verkäuferin ist."

Schon gut. (Ich wische mir eine Träne von der Wange.) Aber warum musst Du denn am Sonntag einkaufen? Das ist doch wirklich blöd. Ernst Jünger, der ist 130 Jahre alt geworden, ohne dass er jemals sonntags eingekauft hat!
"Und wenn er am Sonntag hätte einkaufen können, wäre er mindestens 180 geworden!"

Aaaah! Gnagnagna! - Ein neues Hobby erscheint vor meinen Augen: Konsumidioten ausstopfen und sammeln. Und in verschiedenen Vitrinen werden alle Situationen des täglichen Lebens anschaulich dokumentiert. Petra I mit Verkäuferin; sie kauft was. Petra II mit Freundin; sie erzählt, was sie sich gestern gekauft hat. Petra III mit Mann beim Vögeln; sie überlegt, was sie sich morgen kaufen wird.

Beim Abschied tauschen wir die Kontonummern aus. Im Weggehn ruft sie: "Wir überweisen!"

Bov Bjerg

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