Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
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Club Culture sichert den Kulturstandort Mitte

Zwei Berichte zum Stand der Kultur im Bezirk Mitte

Mitte Juni wurde der Abschlußbericht einer Studie vorgestellt, die eine systematische Bestandsaufnahme kultureller Einrichtungen im Bezirk Mitte durchgeführt hat. Gleichzeitig wurden Anregungen zum weiteren Erhalt der kulturellen Vielfalt erarbeitet. Die anstehende Bezirksfusion und die Berliner Anstrengungen, sich zur "neuen" Hauptstadt zu mausern, werden sich in Zukunft auf jeden Fall auf die bezirklichen kulturellen Einrichtungen auswirken. Zumindest hat man einen aktuellen Zustand festgehalten, der als Maßstab dienen kann.

Über vier Jahre (wobei die Idee einer umfassenden Studie spätestens 1993 vorlag) wurden kulturelle Einrichtungen in Mitte quantitativ und qualitativ erfaßt. Herausgekommen sind 1119 kulturelle Einrichtungen. Zu ihnen zählt die Studie nicht nur klassische Kulturstätten wie Museen, Galerien, Denkmäler, Spielstätten und Aufführungsorte, Bibliotheken und Kulturhäuser, sondern auch Clubs, sogenannte Kulturkneipen, Initiativen und Vereine, soziokulturelle Einrichtungen, Einzelhandel sowie kulturschaffende und -vermittelnde Unternehmen wie Produktionsfirmen und Agenturen. Diese Einrichtungen konzentrieren sich in der Spandauer und Oranienburger Vorstadt, in der Friedrich- und Dorotheenstadt sowie im Bereich um den Alexanderplatz. Dagegen sind die Stralauer Vorstadt und die Luisenstadt "kulturelle Ödnis".

Status quo gehalten

Trotz des rigiden Sparkurses, der vor allem die Bezirkshaushalte betroffen hat, konnte sich die Anzahl der kulturellen Einrichtungen in Mitte von 944 (1997) auf die bereits erwähnten 1119 (1998) erhöhen. Hierbei darf man nicht vernachlässigen, daß vor allem der private Kultursektor gewachsen ist (Clubs, kommerzielle Kinos, Einzelhandel wie Buchläden und Kulturkaufhäuser, kulturelle Dienstleistungen und Galerien). Gerade angesichts des Galerienbooms wirft der Atelierrückgang (von 164 auf 140) Fragen über das Verhältnis von künstlerischer Produktion und Kunstbetrieb bzw. -vertrieb auf. Auch Jugendfreizeitstätten, Initiativen und Interessengemeinschaften sowie Bildungsstätten wurden geschlossen.

Im Erhebungszeitraum der Studie (1995 bis 1998) konnten die bezirklichen Einrichtungen mehr oder minder aufrechterhalten werden, während in anderen Bezirken so einiges dem Rotstift zum Opfer gefallen ist. Das Kulturamt Mitte liegt mit zwölf Einrichtungen an der Berliner Spitze. Diese Wahrung des status quo wurde vor allem durch die erhebliche Deckung von Personalkosten seitens des Landes und des Bundes durch ABM- oder LKZ-Stellen ermöglicht. Durch den Umzug von Einrichtungen in kommunale Immobilien konnten Mietkosten gespart werden. Personalkosten und Mieten bilden mit über 80 Prozent den größten Posten des Kulturamtsetats.

Weiterhin stellt die Studie fest, daß die kulturellen Angebote Mittes nicht nur von Bezirksbewohnern -wenn auch sie eine wichtige Klientel sind - sondern auch stadtweit, überregional und sogar international Magnetwirkung haben. Vor allem die privatwirtschaftlich organisierten, unterhaltungsorientierten Angebote des Nachtlebens, insbesondere der Klub-Kultur, sind hiermit gemeint.

Strategisches Konzept

Aus dem Spannungsfeld von Kürzungen und Sparzwang einerseits (der durch die Fusion von Mitte, Tiergarten und Wedding noch verstärkt wird) und die Ansprüche des Metropolenehrgeizes an den Bezirk andererseits entsteht die Notwendigkeit eines umfassenden, strategischen Konzeptes der kommunalen Kulturarbeit. Ausgehend von einem erweiterten Kulturbegriff, der Kultur nicht ausschließlich als herkömmliches Kunstangebot sieht, sondern die Unterstützung der kreativen Tätigkeit der BürgerInnen, soziokulturelle Arbeit und die Anerkennung von Volks-, Populär- und Alltagskultur umfaßt, hat die Arbeitsgruppe einen Forderungskatalog erarbeitet. Zunächst sollten Kürzungen ausgesetzt werden, auch in den künftigen Fusionsbezirken, um den Bestand in allen drei Bezirken erhalten zu können.

Desweiteren müßte die Zuständigkeitsverteilung zwischen Kommune, Land und Bund klarer herausgestellt und sogar die lokalkulturpolitischen Kompetenzen des Bezirkes ausgebaut werden. Inhaltlich sind die Aufgaben des Bezirkes festgelegt: allgemein zugängliche Präsentation eines Kulturangebotes in allen Sparten, Berücksichtigung von Bevölkerungsgruppen, die an den Lebensraum des Bezirkes gebunden sind, generationsübergreifende, thematische und zielgruppenorientierte Kulturarbeit, Aufarbeitung von Stadtteilgeschichte, Beratung, Information und Koordination kultureller Aktivitäten und Kulturschaffender, finanzielle und infrastrukturelle Förderung, auch von freien Szenen (Strukturkommission zur Weiterentwicklung der Kulturarbeit in den Berliner Bezirke, Senatsbeschluß 1994).

Bezirkliche Kulturkompetenz

Aber die exakte Arbeitsteilung verschwimmt zunehmend: Kultur ist "freiwilige Pflichtaufgabe" des Bezirkes, aber "das Land schützt und fördert das kulturelle Leben" (Berliner Verfassung, Art. 20,2), und seit 1998 agiert auch ein Bundesbeauftragter für Kultur und Medien, dessen Amt noch weitgehend symbolisch ist und über kein Handlungsrepertoire verfügt. Amtsinhaber Naumann hat Ende letzten Jahres in einer Podiumsdiskussion angedeutet, daß ihm an "Stadtteilfesten" als Form der dezentralen Kulturarbeit nicht viel liegt. So würde der Kompetenzausbau der Bezirke Klarheit schaffen und als Korrektiv fungieren zum Profitdenken einiger Entscheidungsträger in der Landesregierung sowie zum Repräsentationsstreben der Bundesregierung um jeden Preis. Die Erhaltung dezentraler, alternativer und nicht-kommerzieller kultureller Biotope wäre so wahrscheinlicher.
Natalie Gravenor

Der Abschlußbericht des Projektes Stadtkultur Mitte (28 DM) und der Kulturbericht 1998 des Bezirksamtes Mitte (Darstellung des Kulturamtes und seiner 12 Einrichtungen, kulturelle Arbeit in unterschiedlichen Bezirksbehörden, 12 DM) sind erhältlich beim Kulturamt Mitte, Auguststraße 1, Zimmer 104, 10117 Berlin, Tel. 282 47 98 und 23 38 89 51, Mo-Mi 9-17, Do 9-18, Fr 9-15. Dort gibt es auch ein Archiv mit Dokumenten der kommunalen Kulturarbeit, Pressestimmen, Publikationen, Wort- und Ergebnisprotokolle der Kulturforen und eine Datenbank der kulturellen Einrichten.

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