Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
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Am Abgrund der Einsamkeit.

"Die Farbe der Lüge"- kühle Parabel fragiler Existenzen

In Claude Chabrols letztem Film, "Das Leben ist ein Spiel" gab es viel zu schmunzeln. Das ist nun anders. Gleich zu Anfang seines neuen Werks schieben sich Wolken vor die Sonne über dem Küstenörtchen in der Bretagne. Eine nebelgraue Kühle prägt die Atmosphäre in "Die Farbe der Lüge", als hinge ein trüber Schleier trennend zwischen den Menschen, die dort ihr beschauliches Leben führen wollen. Man weiß nicht einmal, ob Sommer ist oder Winter.

Zornerfüllt über den Verlust des Sonnenlichts für seine Arbeit packt ein Maler am Strand seine Staffelei wieder ein. Seit er bei einem Attentat zum Krüppel wurde, zieht sich René Stern (Jacques Gamblin) vor den Menschen zurück. Nur seiner Frau Viviane (Sandrine Bonnaire) vertraut er noch, deren Liebe ihn am Leben hält. Ausgerechnet René, der an den Menschen schon fast ganz zerbrochen ist, trifft der Verdacht, als eine seiner Zeichenschülerinnen vergewaltigt und erwürgt im Wald gefunden wird. Die ihn verdächtigende Kommissarin Lésage (Valeria Bruni-Tedesci) scheint so erfüllt mit verhaltenem Zorn wie René mit Bitterkeit.

Mit dem Verbrechen kommt die Lüge in den Ort, das heißt, sie tritt zu Tage, wo sie lange im Verborgenen schwelte. René lügt, weil er ohne Viviane nicht leben kann. Viviane lügt, weil sie ihr Leben auf die Liebe Renés aufgebaut hat. Obwohl die Beziehungen und Klüngel im Dorf so eng erscheinen, als könne niemand etwas vor den anderen verbergen, offenbaren fast alle Beteiligten im Laufe des Films eine dunkle, kalte Seite. Jeder scheint etwas zu verbergen, ein Geheimnis zu haben oder eine Last zu tragen. Wenn sich eine Kneipenunterhaltung um Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit dreht, ist das ein fast schon zu expliziter Verweis auf eine gesellschaftliche Krise, die in den erschütterten Beziehungen ohnehin überall zu spüren ist.

Es ist existentielle Angst, die René und Viviane während der Ermittlungen verspüren. Das fragile Gleichgewicht ihrer Liebe, die Versehrtheit Renés, die wortlose, tiefe Intimität ihres Liebens - diese Zeichen von Sicherheit und Verletzlichkeit, sind einer diffusen, aber realen Bedrohung ausgesetzt, für schuldig befunden zu werden. Schuldig jedoch nicht, weil sie gemordet hätten, sondern weil es so viel gibt, dessen man beschuldigt werden könnte. Doch die graublaue Kälte, die ihr Leben umgibt, wirkt immer noch besser als das, was kommen könnte, wenn es zerbricht. Eiseskälte. Schwarze Nacht. René und Viviane bewegen sich zwischen den Orten und Menschen des Ortes wie an der Kante zu diesem Abgrund der Einsamkeit. So wirkt die Treue, die sich das Paar am Ende schwört, nur wie ein schwacher Sonnenstrahl, der die Wolkendecke über der Bretagnelandschaft durchbricht.
Markus Sailer

Die Farbe der Lüge. Frankreich 1998. Regie: Claude Chabrol. Mit Sandrine Bonnaire, Valeria Bruni-Tedesci, Jacques Gamblin u.a. Kinostart: 12.August.

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