Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Urlaub in Berlin

In gewisser Weise bin ich traditionell. Ich möchte nämlich im Sommer wegfahren. Genau wie Tausende und Abertausende anderer Leute auch, zwischen Juni und August will ich aus Berlin raus. Da hört es mit der Tradition aber auch schon wieder auf.

Denn was ich auf keinen Fall kann, ist, mit den Massen im November in Reisebüros gehen, Prospekte durchforsten und mich spätestens Mitte Dezember für einen Urlaub anmelden. Das finde ich widerlich. Was leider auch nicht meine Sache ist, ist das Sparen. Ich hoffe eher auf plötzlichen Geldsegen, Einladungen oder sonstige Quellen, um die Sommerfrische zu finanzieren. Bisher hat das auch immer ganz gut geklappt. Ich ärgere mich meistens kurz, daß ich eben nicht so sparsam bin, wie es nötig wäre, um mir die Reisen zu leisten, die ich eigentlich machen möchte, aber irgendwie hat es trotzdem immer gereicht.

Bis auf dieses Jahr. Just in dem Moment, in dem ich dachte: "Mensch Sarah, dies Jahr willste aber unbedingt in Urlaub fahren!"versiegten jegliche Einnahmen. Alle Jobs waren zeitgleich zu Ende, neue nicht in Sicht, dafür beschlossen Auto, Fernseher und Waschmaschine gleichzeitig kaputt zu gehen. Zwei Wochen lang hatte ich verdammt schlechte Laune, auch Selbstmitleid, es regnete, mir war langweilig, es war zum Kotzen.

Dann war klar: "So geht das nicht mehr weiter. Ich mach jetzt Urlaub in Berlin!".Ich rief Freund Frank an, der muß mitmachen, denn Urlaub alleine ist blöd.
"Los, wir machen jetzt lauter Sachen, die wir sonst nie machen!"
"Ja super, Sex!"
"Nix da, ich meine was Schönes!"
"Ach so, na gut, ich mach mit."
Ich leb jetzt über zwanzig Jahre in dieser Stadt, und trotzdem fallen mir sofort viele Sachen ein, die ich nicht kenne. Ich war noch nie im Strandbad Wannsee, auf der Siegessäule, bin nicht durchs Brandenburger Tor gelaufen, war noch nie an der Infobox, eben das ganze Touristenprogramm. Hab ich auch nicht als Verlust empfunden, denn dazu lebt man ja hier, daß man das alles gar nicht nötig hat.
Wir treffen uns beim Bier und besprechen die Freitagabendplanung.
"Los, wir gehen in die Eierschale. Podbielskiallee, Zehlendorf."
"Au ja, da war ich noch nie."

Also machen wir uns auf den Weg nach Zehlendorf. Man muß 10 oder 15 Mark Eintritt zahlen, die man aber mittels eines komplizierten Bonsystems in Alkohol umsetzen kann. Also erst mal orientieren und ein Bier holen.
"Sechs-Zwanzig für Schultheiss!"
"Na und, so ist das halt im Urlaub, ist immer alles teurer als zu Hause."
Wir setzen uns auf wacklige Bierhocker und staunen uns durch die Gegend.

Toll, ich wußte gar nicht, daß Berlin noch so ´ne richtige Kleinstadtdisco hat. Früher gab´s ja für jüngere das Riverboat und das Big Apple, das war so ähnlich wie hier. Der Laden ist gerammelt voll mit Männern um die 40, die so kleine Kringellöckchen haben und Mokassins tragen. Mokassins! Die Frauen sind alle schickgemacht, auf eine Art, die ich nie hinbekomme. So sauber und gepflegt, mit gebügelten Jeans, und so Anziehsachen, durch die man durchgucken kann und dann aber doch nicht, weil sie irgendwas darunter tragen. Viele Frauen stehen in Vierer-Gruppen rum und saufen Sekt oder Tequila Sunrise. Dann lachen sie alle ganz laut und werfen ihre Haare so durch die Gegend. Ich glaube, die treffen sich jedes Wochenende, um so richtig einen draufzumachen. Ist ja auch gar nichts gegen zu sagen. Eigentlich. Andererseits steht in fast allen Gesichtern geschrieben: "Und nachher noch schön ficken gehen."Nur wen?

In einer Ecke gibt es eine kleine Tanzfläche, zu jedem gespieltem Lied kann man Discofox tanzen. Schade, daß Hinark nicht da ist, der ist ja bekanntermaßen der Kronprinz des Discofox. Dann gibts noch Livemusik. Ich gucke ins Programm und bin entsetzt.
"Frank, rate mal wer hier spielt!"
"Weiß nicht."
"Rate mal!"
"Oh nee, Sarah, doch nicht etwa der."
"Doch! Pete Wyoming Bender!" "Wie immer!"

Also nix gegen die Band, aber sie verfolgt uns. Ziemlich egal, wo wir hingehen, früher oder später spielt die Pete Wyoming Bender Band. Beim Eishockey, im Fußballstadion, auf´m Straßenfest. Und der hat immer schlechte Laune, und die Musik, naja ...

Aber, kann man nix machen. Im Urlaub kann man sich das eben nicht aussuchen, da muß man nehmen, was kommt. "Ich brauch noch ´n Bier."

Dann gehts los, aber, oh Wunder, das Programm scheint umgestellt zu sein, auf die Bühne treten fünf Jungs in weißen Rüschenhemden. Alle sehen sehr krank aus. Dann wird ordentlich Stimmung gemacht. Der Bandleader schreit uns an, daß alles ganz toll ist und wir jetzt rhythmisch klatschen und schreien müssen, denn jetze spielt Juicy Trees. "Wat is das denn für ein Name? Saftige Bäume, Größenwahn würd´ ich sagen."

Wir hören uns sehr schlecht gesungene Lieder von ... und ... an. Zwischendurch immer: "Und jetzt alle!" oder: "Die Frauen singen Hey und die Männer Hoh!"

Ich guck mir lieber weiter die komischen Menschen an.
"Frank, wenn du dir hier eine Frau aussuchen dürftest für die Nacht, aber auch müßtest, welche würdste nehmen?"
Frank muß lange überlegen, denn eigentlich gibt es an jeder viel auszusetzen. Er entscheidet sich für ein kleines, liebes Büromäuschen.
"Die sieht aus, als würde sie wenigstens den Mund halten", sagt er, und: "Los, jetzt mußt du aber auch."

Bei den Männern ist es noch viel schwerer, finde ich. Die meisten kann ich mir sofort vorstellen, entweder so ganz liebe Streichler, die dir zu Anfang mit einem Finger über die Hand oder um den Nacken streicheln. Stundenlang, bis man schreien wollte: "Los jetzt, anfassen!" Die anderen sind schwitzige Rammlertypen, und die dritten werden erst mal von ihren Problemen erzählen. Obwohl das gar nicht nötig wäre, denn die sieht man ihnen aus 30 Meter Entfernung unzweifelhaft an. Ich entscheide mich dann für den einzigen, der wenigstens ein bißchen halbseiden aussieht.
"Ach so, ein Hallodri."

In dieser Umgebung finde ich, mein Freund ist mit Abstand der interessanteste Mann. Ich bin erschöpft, ich will jetzt keinen Urlaub mehr haben, ich will nach Hause, nach Berlin zurück.

Später im Bett denk ich, was man immer denkt, nach dem Urlaub: "Ach, ist das schön, auch mal wieder im eigenen Bett zu schlafen."
Am nächsten Morgen ist Krisensitzung.
"Was sollen wir heute machen? Wir könnten in die Thermen an der Heerstraße gehen oder auf den Funkturm."

Ich finde alle Vorschläge blöd. "Ach nee, mir reicht´s irgendwie. Das ist ja eine widerliche Stadt, Berlin, hab ich gar nicht gewußt; ich will hier weg. Wie halten es nur die Leute aus, die hier wohnen müssen? Ist ja ekelhaft.
Sarah Schmidt

(Aus der gerade erschienenen Nr. 25 der Zeitschrift Salbader. Den Salbader gibt es bei den einschlägigen Vorlese-Veranstaltungen in Mitte und Prenzlauer Berg sowie im guten Buchhandel.)

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