Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
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Was? Wie? Weshalb bloß?

Beim "Theater der Welt" blieben viele Publikumsfragen offen

"Theater der Welt" in Berlin, das erste Mal und überhaupt. Noch ein großes Festival, noch mehr Trubel und auch mehr Heiterkeit? Das Publikum war zumindest ein wenig anders als das des Theatertreffens, naturgemäß auch internationaler. In den Vorstellungen waren dann auch nicht alle auf die Obertitelungen angewiesen.

Die Völker soll es verbinden, Brücken schlagen. Aber weit davon entfernt, womit nicht nur die Entfernungen zwischen angenommenem Festivalzentrum Kalkscheune und einzelnen Spielorten gemeint sind. Im Rückblick bleibt ein Hin-und Hergerissensein zwischen Unverständnis und War-doch-schön. Aber so ein Festival, wenn es die "Theater der Welt" repräsentieren soll, muß einen erkennbaren roten Faden haben. Angelehnt an das Plakatmotiv mit dem Lotsen, fühlte man sich öfter wie jemand, der diesen zwar sieht, aber die Botschaft nicht versteht, weil er den Code nicht kennt. Ist der türkische Festivalbeitrag mit seinem Gejammer und Archaik-Getue repräsentativ für das türkische Theater? Oder vielmehr hoffentlich nicht? Anders muß es sein - das ist klar, aber unverständlich und schwülstig darf gutes Theater nicht sein.

Rumänien wurde durch eine Dramatisierung eines polnischen Romans aus dem 19. Jahrhundert repräsentiert, "Die Handschrift von Saragossa", hier als "Saragosa - 66 Tage". Man hielt sich an den genauen Ablauf, nur der Akzent war verschoben zu Toleranz und Nächstenliebe zwischen den Völkern und Religionen.

Trend zur Konservative?

Überhaupt, die Religionen. Wenn es einen Trend beim Theater der Welt gab, dann genau diesen. Hinwendung zu Religion in Verbindung mit alten Mythen und Traditionen. Das wurde vor allem von den osteuropäischen Truppen thematisiert, was zwar nicht sonderlich verwundert, aber die Frage stellen läßt, inwieweit das Theater dort sich noch in aktuelle gesellschaftliche Prozesse einmischt. Oder bildet es nur allgemeine gesellschaftliche Strömungen ab, ohne kritisch zu hinterfragen? Wenn das so wäre, dann sähe es von unserem gesicherten Standpunkt traurig auf dortigen Bühnen aus.

Fürs Herz und für die Sinne

Womit nicht gesagt werden soll, daß alles schlecht war. Viel für die Sinne und "für«s Herze". Im Spreespeicher für die Sinne: "Oraculos" vom Teatro de los Sentidos (Theater der Sinne), Regie Enrique Vargas. Ein großes Labyrinth, das eine persönliche Frage beantworten sollte. Selbst wenn einem so schnell keine einfiel. Es war ein wirklich sinnliches Erlebnis, zumal jeder einzeln die dunklen Gänge barfuß durchwandern mußte. Laufen auf Sand oder Getreide, blindes Erfühlen von Teig. Genau, blind war der Weg zu suchen, man mußte sich auf andere Sinne verlassen als Optik oder Akustik. Insofern hat es ja gestimmt. Und beim Heraustreten aus dem Speicher mit Spreeblick war das Leben für einen kurzen Moment ganz anders und leicht...

Eine kleine, nette Produktion aus Estland versuchte einen kurzen Abriß der estnischen Geschichte - mittels Computerspiel mit 3D-Effekten. Diese waren die Schauspieler, eine Familie darstellend. Ein Vater, drei Söhne, eine Braut, eine Hexe und ein estnischer Volkschor. Die Aktionen im Vordergrund wurden vom Spiel kommentiert, dem vermeintlichen Spieler klärende Fragen zum weiteren Verlauf gestellt. Eine hübsche Idee, mit Mythen garniert. Aber sie sprechen nicht mit mir.

Eine Osteuropa-Rundtour

Bulgarien beschäftigte sich mit den "Apokryphen", also den nicht in den offiziellen Bibelkanon aufgenommenen Geschichten. Alles sollte bildgewaltig sein. Der Teufel fällt von der Leiter und ist nun ein gefallener Engel. Frauen knien auf dem Boden und putzen. Sie reden durcheinander, erzählen sich stichwortartig die Schöpfungsgeschichte bis hin zum Sündenfall. Sie tratschen, nasse Lappen schwingend. Am Ende hat man aber doch nur den steifen Nacken und bleibt wieder mit der Frage zurück: Was wollen die mir eigentlich erzählen? Daß früher alles besser war, so vor zwei- oder auch zehntausend Jahren?

"Kosmos Gardzienice" des Regisseurs Wlodzimierz Staniewski hatte die ganze Welt im Namen. Esoterik war ein Gedanke. Er ging aber um die Welt, die sich wiederum in einem ostpolnischen Dorf namens Gardzienice befindet. Ein Gehöft, das allen offensteht, in dem die Stücke seiner Theatertruppe entwickelt werden. Es wird viel und schön gesungen, man greift ebenfalls Mythen auf, die des Mönches Awwakum, die Carmina Burana. Am Ende gab es Selbstgebrannten, eine Dorfkapelle und Tanz und ganz viel Seele, die immer größer wurde.

Ansonsten war von Seele während des Festivals nicht viel zu spüren. Auch die als Herz des Festivals angedachte Kalkscheune belebte sich erst so richtig, nachdem die Premierenfeiern dorthin verlegt wurden. Da war "Theater der Welt" schon fast vorbei. Zu weit verstreut waren die Aufführungsorte, manche Stücke auch nicht dazu angetan, diese zu feiern. Das Abschlußfest war dann auch eher von gedämpfter Stimmung geprägt. Traurig sein kann man auch später und auf das nächste Theaterfestival im September zu den Berliner Festwochen warten. Schwerpunkt: osteuropäisches Theater.
Ingrid Beerbaum

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  Ausgabe 07 - 1999