Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Schon mal eingeschlafen?

Man muß einen gewissen Stumpfsinn entwickeln, um täglich ins Büro zu gehen. Der Trott und der Trottel sind verwandt.
Ich bin pünktlich, sitze an meinem Schreibtisch und falte die Hände.

"Danke, für diese Arbeitsstelle", tönt es - wie jeden Morgen - aus den Lautsprechern durch die Flure bis in unser Büro hinein. Dann läutet es: Dienstbeginn. Telefonieren, Notizen machen; Aktenordner abwechselnd suchen und sortieren; ich sitze am Computer. Vorsichtig sein: Initiative bringt nur zusätzliche Arbeit - und wofür?: Für nichts. Anwesenheit: Das ist wichtig. - Dies ist der Zweite Arbeitsmarkt, größter Arbeitgeber Berlins.

Ein merkwürdiger Arbeitgeber ist das: Ohne Profitinteresse, ohne Material oder Produktionsmittel, ohne Perspektive für seine Mitarbeiter (außer der Verlängerung vielleicht), überzogen vom Mehltau der Bürokratie. Produziert wird wenig. Die Bezahlung ist schlecht. Die Ausstattung schlechter. Gespart: Überall muß gespart werden. Doch wer nur spart, wird nie etwas verdienen.

[An dieser Stelle - kaum motiviert - das versprochene wirtschaftswissenschaftliche Quiz: Von wem stammt folgender Vorschlag: In einer Situation wie der unseren vergräbt die Bundesregierung an einem geheimen Ort 100 Tonnen Gold (und Jürgen Trittin). Dann gibt sie eine offizielle Erklärung heraus: "Wer´s findet, darf´s behalten." Die Menschen, um den Schatz zu bergen, entwickeln wirtschaftliche Aktivitäten, deren Gesamtwert wesentlich höher ist als der des Schatzes. Wenn er gut versteckt ist. Wer machte diesen Vorschlag? Unter allen richtigen Einsendungen verlose ich ein Buch.]

Wenn ich Arbeitsplätze mit Ökosystemen vergleichen wollte, müßte ich sagen: Trockengelegte Sumpflandschaft.
Jetzt hat sich der Zweite Arbeitsmarkt mit seinen Arbeitsplätzchen einer neuen Klientel zugewandt: Den IdA-Leuten. "IdA", das ist "Integration durch Arbeit" und wendet sich an Peter und Paul aus dem Friedrichshain: Anfang/Mitte Dreißig, auf´m ,Soz´, früher Hausbesetzer, viel dazu-, doch nichts gelernt. Seit ich in Berlin bin, bin ich von diesen Leuten umgeben. Früher haben sie in Mitte gewohnt. Zusammen haben wir das Studium abgebrochen und jetzt sitzen wir hier auf dem Amt für soziale Zwischennutzung. Acht Mark netto, immerhin.

Ruhiger sind wir geworden. In stillen Stunden fragen wir uns, ob wir je Träume hatten und wie viele Schritte auf der Karriereleiter wir noch zustande bringen bis es heißt: Es geht bergab. - Ansonsten sind wir gut gelaunt und freuen uns über unseren Arbeitsplatz. Warum, so frage ich mich (der Bildschirmschoner blinkt mich an), ist das Geld in den öffentlichen Kassen nur so knapp?
Weil auch die öffentliche Verwaltung eine Wirtschaftstheorie hat:
Die Menschen im Zweiten Arbeitsmarkt sollen schon eine sinnvolle Tätigkeit ausüben (wenn´s geht), aber sie dürfen keine Konkurrenz für die Privatwirtschaft werden. Daher müssen ihnen die Produktionsmittel verweigert werden. Darum gibt´s kein Geld.
Eigentlich ganz logisch, dachte ich, als der rotnasige Gewerkschafter mir die Zusammenhänge erklärte.

Was kann ich dagegen tun?, fragte ich.
Du kannst rebellieren und zeigen, daß es doch auf den Menschen ankommt, sagte der Mann mit der roten Mütze, indem du - unter schwierigsten Verhältnissen - etwas Großes schaffst, durch deinen Willen und deine Energie. Du kannst es schaffen. Und fuhr mit seinem Schlitten davon.

Ich erwache erschrocken und richte meinen Blick auf die ruckelnde Graphik: Der Christmas-Shareware-Bildschirmschoner. "Hans, willst Du auch ´n Kaffee?", ruft Gabi durch den Raum. "Ja, gern", antworte ich. - Das war mein erster Büroschlaf.

Der alte Schwung ist hin, denke ich und blicke auf die Uhr. Was soll´s. "Mit Milch, bitte."
Hans Duschke

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