Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Irgendwas ist immer

Vor ein paar Wochen traf ich einen ehemaligen Kommilitonen in der Bibliothek.Jeder erzählte, was er gerade so treibt. Als wir uns verabschiedeten, senkte er den Blick ein bißchen und erzählte so beiläufig wie möglich: "Ach so, fast hätte ich es vergessen. Ich mache mit ein paar Leuten einen kleinen Club in Friedrichshain, dienstags und freitags. Wenn du Lust hast, kannst du vorbeikommen." Ich wollte wissen, was da so los ist. Er konnte es mir nicht sagen. "Naja, es gibt was zu trinken und Musik, aber wir wollen auch noch andere Sachen machen. Wenn man auf der Toilette das Licht anmacht, fliegt jedenfalls die Sicherung raus." Das war genau das, was mir gefehlt hatte. Irgendwie schien das Ganze nicht gut zu laufen. Außerdem hatte ich das Gefühl, daß er es cooler gefunden hätte, keine Werbung zu machen.

Ein paar Tage später fiel mir eine ZEIT-Ausgabe in die Hände. In der Abteilung Modernes Leben fand ich ein Foto, das den studentischen Clubbetreiber mit ein paar anderen Typen in cooler Pose vor einer bröckeligen Brandwand zeigte. Die Überschrift lautete sinngemäß: "Der Berliner Unterground trifft sich jetzt in Abbruchwohnungen." Überraschend daran war nicht, daß die ZEIT etwas als den neuesten Hype verkaufte, was gerade dabei war, sich aufzulösen. Auch an das Mißverhältnis von tatsächlichen und medial erzeugten Tatsachen hatte ich mich längst gewöhnt. Komisch war nur, daß der groß aufgemachte, völlig inhaltsleere Artikel so gut zu meiner Begegnung passte. Ich fand mein Gefühl bestätigt, daß es auch im "neuen Berlin" keinen Mangel an Freiräumen gibt, sondern bestenfalls eine Ideenlosigkeit, wie man ihn füllen könnte.

Dann lief mir in der U-Bahn ein alter Freund über den Weg, der mir von seiner neuen Bleibe erzählte. Er wohne jetzt in seinem Atelier, das wäre superschön, jedenfalls für den Sommer, und ich sollte doch mal vorbeikommen. Ein paar Tage später war ich in der Gegend. Innenstadt im engeren Sinne. Als ich auf den Hof fuhr, hörte ich viele Stimmen, seltsame Musik und der Geruch von gegrilltem Lachs lagen in der Luft. Zwischen den Bäumen und einer bröckeligen Brandwand saßen viele Menschen an einer langen Tafel, speisten, schwatzten und tranken. Offensichtlich war ich direkt in ein Fest geplatzt und dieser Zufall freute mich natürlich. Da tauchte der Freund auf, begrüßte mich, bot mir Wein an und erzählte, daß es sich um ein halböffentliches Fest von seinem Nachbarn, dem Künstler, handelte. Dann zeigte er mir sein umgebautes Atelier, die Kochnische, das Büro, den Studioraum, den Schlafboden und die Toilette, in der automatisch Licht und Musik angehen, wenn man sie betritt. Vor einem Jahr war das alles noch eine bessere Ruine. "Als ich hier eingezogen bin und am ersten Morgen aus dem Fenster auf die Bäume sah, fühlte ich mich wie im Paradies. So viel Platz für Ideen! Und das mitten in der Stadt!", erzählte er. "Ich dachte einfach, das ist es. Dann merkte ich, daß das Paradies alleine nichts wert ist und bekam Depressionen. Aber gestern habe ich mir für 40 Mark einen flachen Pool gekauft und die Nachbarn haben mir Goldfische und einen Schleierschwanz geschenkt. Ist es nicht toll?" Er zeigte durchs Fenster auf den blau schimmernden Pool in der Nacht. Ich wollte wissen, was er in nächster Zeit vor hat. Er schaute mich kurz prüfend an und lachte dann: "Ich forsche zum Thema Liebe und Humor."

Als ich an diesem Abend nach Hause fuhr, fiel mir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein, warum ich diese Stadt so liebe. Immer passiert irgendetwas außerplanmäßiges. Jederzeit kann man sein Ziel, seine Probleme, sogar seine besten Freunde aus den Augen verlieren. Und je mehr man verliert, umso wunderbarer ist das Leben in dieser Stadt. Nur den Humor darf man nicht verlieren.
Idee: "Britta"
Felix Herbst

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