Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
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Kein WeiberWirtschaftsWunder in Sicht

Die Frauengenossenschaft "WeiberWirtsschaft" in der Anklamer Straße steht wegen argen finanziellen Nöten vor dem Aus

Eine "WeiberWirtschaftsWunderWoche" kündigt die Frauengenossenschaft "Weiberwirtschaft e.G." in ihrem Gründerinnenzentrum für die Woche vom 20. bis 27. Juni an: mit Konzerten, Diskussionsrunden und Vorträgen.

Ein Wirtschaftswunder könnte der Gewerbekomplex in der Anklamer Straße in der Tat dringend brauchen. Denn ein weiteres Informationsblatt teilt unverblümt die Alternative mit: "Konkurs im September ... oder 2000 neue Anteile für die WeiberWirtschaft eG".

Neue Finanznöte

Rosig sah die wirtschaftliche Lage des 1996 eingeweihten Gründerinnenzentrums noch nie aus. Doch vor einiger Zeit kam ein neues, unerwartetes Problem hinzu: Im Altbaubereich wurden erhöhte Raumluftbelastungen mit Naphtalin (u.a. in Mottenkugeln typisch) festgestellt. Grund dafür ist eine in den Geschoßdecken eingebaute Teerpappe aus der Vorkriegszeit. Diese Pappe müßte entfernt werden, da die Räume so nicht mehr nutzbar sind. Die Sanierung würde - mit Umzugsgeldern und Mietausfall bei den betroffenen Räumen - ca. drei Millionen Mark kosten, sagt Vorstandsmitglied Katja von der Bey. Da die WeiberWirtschaft soviel Geld für die Sanierung nicht aufbringen kann, hofft sie nun auf Unterstützung des Landes Berlin. Aber der Senat, der schon bei der Entstehung des Gründerinnenzentrums mit Fördermitteln den finanziellen Löwenanteil (83%) getragen hatte, knüpft an eine nochmalige Förderung nun Bedingungen. Erstens soll die WeiberWirtschaft ihr Eigenkapital um 400.000 Mark erhöhen - das wären zum Beispiel jene erhofften 2000 neue Anteile ‡ 200 Mark, dem Mindestsatz, um bei der Genossenschaft Anteile zu zeichnen. Die WeiberWirtschaftsWunderWoche soll diese Werbeaktion unterstützen.

Zweitens soll nach dem Willen der Senatsbauverwaltung die Genossenschaft nachweisen, daß ihr wirtschaftliches Konzept durch einen "Partner" geprüft wurde, mit dem auch ein Kooperationsvertrag erwünscht wäre. Als Partner fiel der Bauverwaltung ausgerechnet die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) ein, die allerdings selbst mit mancherlei ökonomischen Problemen zu kämpfen hat, beispielsweise mit dem Chaos bei Betriebskostenabrechnungen, wie ihre Geschäftsführer ab und an augenzwinkernd eingestehen.

Standort- und Finanzprobleme

Die nun notwendige Sanierung ist aber nur die Spitze eines Berges von Problemen, mit der das Projekt ohnehin schon zu kämpfen hatte. Manche Beobachter fürchteten schon 1996 bei der optimistischen Eröffnungsfeier, daß das Konzept so nicht aufgehen würde. Die 1989 gegründete Frauengenossenschaft hatte den Gewerbehof (früher VEB Berlin Kosmetik) in der Anklamer Straße 38 erworben, ihn drei Jahre lang saniert, um- und ausgebaut und mit einem Neubau mit Wohnungen im 1. Förderweg ergänzt. Das Konzept: Ausschließlich frauengeführte Betriebe und weibliche Selbständige sollten von günstigen Mieten, gemeinsamer Infrastruktur und dem "potenzierten Werbeeffekt" profitieren, Existenzgründerinnen sollte so der Schritt in die Selbständigkeit erleichtert werden. Aber die Einlagen der Genossenschaft reichten für das ehrgeizige Vorhaben bei weitem nicht aus. So wurde die "WeiberWirtschaft" das letzte hoch subventionierte Gewerbeprojekt, ein "Lieblingskind" des damaligen Bausenators Wolfgang Nagel (SPD), wie es auch in der Senatsbauverwaltung heißt. Ca. 24,5 Millionen investierten damals die Senatsverwaltungen für Bauen und Wohnen sowie Wirtschaft und Technologie insgesamt - das sind 83% der Gesamtfinanzierung (ca. 30 Millionen Mark). Ein Bankkredit machte weitere 16% aus. Der Eigenanteil betrug lediglich 1%. Ein "total überfördertes Kind", wurde das Projekt deshalb mancherorts genannt.

Zum Finanzierungs- kommt ein Standortproblem: Und das, obwohl die Gründerinnen gerade mit dem Standort setzten. Aus einem Faltblatt: "Einen Katzensprung vom Alex, in der Mitte der Hauptstadt, nur um die Ecke der Prenzlberg und das ehemalige Scheunenviertel mit der berüchtigten Mulackritze - hier mittendrin steht das größte Gründerinnenzentrum Europas." Warum sollten sich auch Frauen anders irren als Männer und nicht den gleichen überzogenen Boom-Erwartungen aufsitzen? 500 Meter Luftlinie sind zu weit, um die Kundenströme vom Hackeschen Markt herzulocken: Die WeiberWirtschaft befindet sich eben nicht in der Spandauer, sondern mitten in der Rosenthaler Vorstadt. Angesichts der Sozialstruktur und Haushaltseinkommen des Gebiets wirkte das nobel-alternative Ambiente samt Bioladen und gehobenem Restaurant immer ein wenig fremd. "Kieznahe Versorgung" war das nicht. Aber nur zwei U-Bahn-Stationen entfernt entstand gleichzeitig das "Gesundbrunnencenter" im Wedding, ein lockendes Rundumangebot mit Billigmarkt, nah genug auch für Anwohner der Rosenthaler Vorstadt.

Zu hohe Mieten, Bezirk außen vor, Sanierungsgebiet ignoriert

Sorgen machte von Beginn an auch der hohe Leerstand: Denn die Kreditzinsen werden aus den Mieteinnahmen zurückgezahlt. Ein Grund für den Leerstand dürfte auch die Höhe der Mieten sein, deren Spitzen sich gerade Existenzgründerinnen kaum leisten können. Sie bewegen sich in der Spanne von 5 (für die Remisen) bis 28 Mark nettokalt. Gerade die Ladenflächen sind für diese nicht unbedingt laufpublikumsträchtige Lage verhältnismäßig teuer. Nach Angaben der Senatsbauverwaltung lag der Leerstand zur Eröffnung bei 40%. Inzwischen macht das Gelände einen ziemlich verwaisten Eindruck. Der Bioladen mußte aufgeben, weil er sich schlicht übernommen hatte. Von dem großen Copyshop ist nur die Außenwerbung geblieben - auch er zog weg. Wegen der Naphtalinbelastung ist die Kita umgesiedelt. Eine Mieterin meint, manchmal käme sie sich vor wie der letzte Arbeitende auf dem Hinterhof. Andere Mieter ziehen wegen der Altlasten in den vorderen, unbelasteten Teil des Komplexes. Vorstandsmitglied Katja von der Bey hingegen spricht von "normaler Fluktuation", von einem Leerstand von 40%; davon, daß es aufgrund der konjunkturellen Lage jetzt sogar mehr Mietanfragen als sonst gäbe, man aber wegen der Altlasten zur Zeit eben nicht vermieten könne.

Kopfschütteln erzeugt bei manchen Mietern aber auch die für sie nicht nachvollziehbare Vermietungspolitik der Genossenschaft. Angesichts eines gravierenden Leerstandes Bewerber nur deshalb abzulehnen, weil auch Männer an der Geschäftsführung beteiligt sind - dieses feministische Prinzip stößt nicht nur bei manchen Mieterinnen, sondern auch im Bezirk auf Unverständnis.

Ohnehin erntete die WeiberWirtschaft bei Bezirk und auch bei Mitarbeitern der Senatsverwaltung Kritik: Vorgeworfen wird ihnen vor allem, den Bezirk außen vor gelassen zu haben und die Erfordernisse des Sanierungsgebiets, in dem sich die Weiberwirtschaft befindet, einfach zu ignorieren. Weder sei der Bezirk bei der Belegung der Sozialwohnungen beteiligt worden, noch fand der Wunsch nach mehr produzierendem Gewerbe Gehör - der Bezirk hätte aber gerade Umsetzmöglichkeiten für sanierungsbetroffenes Gewerbe dringend brauchen können. Selbst der Versuch, dem Kulturamt des Bezirks Belegungsrechte für ein Gast-Atelier zu sichern, scheiterte.

Kurioserweise könnte nun gerade das Naphtalin der Anlaß sein, um die WeiberWirtschaft doch noch zu mehr Kooperation zu bewegen. Die zwei beauftragten Frauen der WBM jedenfalls gehen als potentieller "Partner" genau mit solchen Forderungen in die Verhandlung: mehr Kooperation mit dem Sanierungsgebiet und dem soziokulturellen Bereich des Bezirks, Umsetzflächen für Gewerbe - und nicht nur für "weibliches" Gewerbe. Katja von der Bey stimmt zumindest letzterem Punkt zu, aber "es gibt bisher keine Verträge, wir verhandeln noch."

Alles in allem ist bisher das Ziel nicht erreicht, es Frauen bei der Existenzgründung in der Weiberwirtschaft leichter zu machen als anderswo. Im Moment dürfte eher das Gegenteil der Fall sein. Die Situation ist fatal: Der jahrelange Leerstand verschlingt aufgrund der Förderung Steuergelder, so eine Mitarbeiterin der für das Sanierungsgebiet zuständigen Mieterberatung BfsS, die auch auf dem Hinterhof der WeiberWirtschaft zu finden ist. Aber eine Pleite der WeiberWirtschaft würde zuallererst der kreditgebenden Bank dienen - bei einer Zwangsvollstreckung würde sie als erste kassieren. Und der Senat müßte eine Auffanggesellschaft gründen, die den ganzen Spaß noch teurer machen würde.

Ulrike Steglich

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