Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
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Links ein Investor, rechts ein Investor - und dazwischen Schwarzenberg

Ein Projekt in der Rosenthaler Straße 39 will sein Zuhause nicht verlieren

Es war einmal ein kleines Dorf namens Schwarzenberg. Das war im Frühjahr 1945 für kurze Zeit Niemandsland: auf der einen Seite standen die Russen, auf der anderen Seite die Amerikaner - aber keiner von beiden betrat die Stadt. So riefen die Bewohner die "Republik Schwarzenberg" aus - die Geschichte dieser kurzzeitigen Autonomie erzählt Stefan Heyms Roman "Schwarzenberg".

Aber es gibt noch eine zweite Schwarzenberg-Geschichte, und die geht so: Es war einmal ein Haus, ein leeres, instandsetzungsbedürftiges und zwangsverwaltetes Haus in der Rosenthaler Straße 39, gleich am Hackeschen Markt. Das mietete eine Künstlergruppe, die "Dead Chickens", Anfang 1995 von der WBM. Sie setzten es instand und machten allerlei interessante Dinge dort, unter anderem eine Museumsakademie und Großprojekte der Maschinenkunst; das Kino "Central" ließ sich hier nieder, und der Verein ermöglichte eine Ausstellung über den Bürstenmacher Otto Weidt, der in jenem Haus seine Werkstatt hatte und dort während der Nazizeit viele blinde Juden beschäftigte und zu schützen versuchte.

Das Konzept ging auf: Die Rosenthaler Straße 39 entwickelte sich bald zu einer angesehenen Kultur-Adresse, auch das Kulturamt Mitte nutzte die Räumlichkeiten öfter: Für das Kulturplenum etwa, oder für eine Ausstellung über Kulturarbeit in Mitte.

Der Hausverein nannte sich "Schwarzenberg e.V." - nach dem Roman von Stefan Heym. Warum? "Na, links ein Eigentümer, rechts ein Eigentümer - und dazwischen wir", sagte ein Vereinsmitglied. In der Tat - das kleine Schwarzenberg hat in den aufgeziegelten Hackeschen Höfen zur Linken den Investor Roland Ernst zum Nachbar und zur Rechten den Hamburger Investor Harm Müller-Spreer, der sich seit Jahren quer durchs Gebiet kauft. Und beide haben ein sehr begehrliches Auge auf die kleine Republik geworfen.

Verkauf nur zum Verkehrswert möglich

Hier beginnt der ganz und gar nicht märchenhafte Teil der Geschichte. Denn wie viele andere Altbauten gibt es auch für die Rosenthaler 39 Rückübertragungsansprüche. Der Rückübertragungsbescheid wird nun bald Bestandskraft haben. Damit wird das Haus einer inzwischen über 30köpfigen Erbengemeinschaft gehören, deren Mitglieder in Brasilien leben, in Südafrika oder Irland. Deshalb kommt für die Erbengemeinschaft nur ein Verkauf des Grundstücks in Frage. Und es gibt auch schon mehrere Bewerber: Roland Ernst und Harm Müller-Spreer eben - aber auch der Hausverein Schwarzenberg e.V. hat ein verständliches Interesse daran, im Haus zu bleiben, und hat sich deshalb einen Investor gesucht, der es kaufen und dem Verein die weitere Nutzung garantieren will. Dieses Modell hat schon einmal funktioniert - im Falle der Auguststraße 10 mit dem KuLe-Projekt.

Nun verfügen Roland Ernst oder Müller-Spreer gewiß über beträchtliche finanzielle Mittel - theoretisch ist jedoch ein Zuschlag aufgrund eines Höchstgebotes, also ein spekulativer Verkauf ausgeschlossen. Denn da sich das Gebäude im Sanierungsgebiet befindet, darf es nur zum Verkehrswert verkauft werden. Das Koordinationsbüro des Sanierungsbeauftragten schätzt den Kaufpreis auf ca. 1400 DM/qm, für die gesamte Fläche wären das 4 Mio. DM. Dennoch ist unklar, wie ein bestellter Gutachter den Verkehrswert bewerten wird: ob er eher höher ausfällt wegen der attraktiven Lage oder eher niedriger wegen des schlechten Gebäudezustands.

Nichtsdestotrotz kursierten schon vor etwa einem halben Jahr Gerüchte über gigantische Preise für das Haus: Dessen Bewohner staunten nicht schlecht, als sie in einer Zeitung ein Maklerangebot für das Haus fanden. Wie sich herausstellte, war es ein Versuchsballon - um den Marktwert der Immobilie zu testen.

"Blindes Vertrauen" - eine Ausstellung über Otto Weidt

Eine nicht unwichtige Rolle spielt bei alldem die oben erwähnte Ausstellung über Otto Weidt mit dem Titel "Blindes Vertrauen". Bislang hatte nur eine kleine - und hart erkämpfte - Tafel an den couragierten Bürstenmacher erinnert. Die Ausstellung, erarbeitet von Studenten der FHTW, in Weidts ehemaligen Werkstatträumen fand seit ihrer Eröffnung große Resonanz, bis hin zum Kulturminister und den Redaktionsstuben der großen Zeitungen. Sie wird an das Anne-Frank-Zentrum übergeben, bleibt aber vorerst bis Jahresende in der Rosenthaler 39. Schwarzenberg e.V. will zusammen mit dem Anne-Frank-Zentrum die Trägerschaft übernehmen, um die Räume auf Dauer zu sichern. Weidts Werkstatt als "historischer Ort" ist auch ein Argument für den Antrag, das Gebäude als Einzeldenkmal eintragen zu lassen.

Auch dem Bezirk ist an dem Erhalt der Ausstellung gelegen, das Vorhaben unterstütze man selbstverständlich. Verhaltener fällt dafür die Unterstützung für jene aus, die das Projekt ermöglicht haben: für Schwarzenberg e.V. Pragmatisch gesehen, ist das verständlich: der Bezirk kann sich nicht in private Kaufverhandlungen einmischen. Aber ein bißchen mehr moralische Unterstützung könnte trotzdem nicht schaden. Zu befürchten wäre sonst ein Szenario, wonach zwar die Ausstellung bleiben könnte - denn die paar Quadratmeter könnte jeder Investor verkraften -, Schwarzenberg e.V. aber ausziehen müßte.

Gerade an dieser prominenten Stelle, am Hackeschen Markt, wäre es bezeichnend, wenn die Stadt zwischen all den noblen Adressen nicht einmal eine kleine Republik Schwarzenberg aushalten sollte. Schließlich sind Roland Ernsts Hackesche Höfe groß genug, und Müller-Spreer kann sich über mangelnden Hausbesitz gewiß auch nicht beklagen. Wie sagte ein Vereinsmitglied vor ein paar Jahren? "Ich will nicht den Eigentümer von links und nicht den von rechts. Ich bin für die freie Republik."

Ulrike Steglich

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