Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Festigkeit und Einsehen zeigen

Kosovo-Krieg: Ist nicht die Gewalt das Problem, sondern daß wir so wenig bereit dazu sind?

Kommentar

Die NATO hat heute: ihre Angriffe auf Ziele in Jugoslawien, ihren Druck auf Präsident Milosevic erneut verstärkt. Ihre Unnachgiebigkeit erneut bekräftigt. Milosevic darf nicht durchkommen. Milosevic muß einsehen. Wir greifen nur legitime Ziele an. Wir bedauern Irrtümer zutiefst. Müssen Festigkeit zeigen. Dürfen die Gemeinschaft der Demokraten nicht verlassen. Die Position der westlichen Staatengemeinschaft nicht in Frage stellen. Wir müssen einsehen.

Wir sollen uns an den Krieg gewöhnen. Man kann sich, das ist erschreckend, an ihn gewöhnen. Man gewöhnt uns daran. Es wird noch lange gebombt werden, monatelang wohl. Es wird wieder Durchhalte- und Endsiegparolen geben. Dann wird es auch ein Ende des Kosovo-Krieges geben.

Doch welches? Die NATO wird ihren Sieg behaupten, Milosevic wird zurückgedrängt, vielleicht erhält ein Teil der Kosovo-Albaner auch seine Heimat wieder. Diktatoren schlafen jetzt weltweit vielleicht etwas schlechter. Also wird alles gut? Jugoslawien ist zerstört, unzählige Menschen wachen dort schon nie wieder auf, damit der Diktator unruhig schläft. Das Ausgangsproblem im Kosovo bleibt ungelöst. Die NATO wird vertuschen, daß weder sie noch irgendjemand sonst ein Mittel gegen Diktatoren und Vertreibungen im Bürgerkrieg besitzt, wenn er nicht für immer im Land festsitzen möchte. Es ist eine alte Erfahrung aus Somalia und Sudan. Verlieren wird vor allem die ganze Welt. Weil die NATO zugunsten ihres für heilig erklärten Zwecks schon kein Mittel mehr scheut, auch nicht den Völkerrechtsbruch und den Bruch mit allen, die sich an die UNO-Charta binden.

Die NATO hat den Umbau der Welt begonnen, es ist ein Umbau nach ihrem Bilde. Sie hat sich eine neue Strategie gegeben und zur Ordnungsmacht in Europa erklärt. Für Einsätze will sie künftig kein UNO-Mandat mehr brauchen. Mit solchen Prinzipien verrät sie die Völkerrechtsordnung, die Gleichheit der Staaten und letztlich auch ihren angeblich höchsten Wert, die Demokratie, denn die schließt die Achtung gemeinsamer Gesetze immer ein. Dagegen muß laut protestiert werden. Doch in diesen Zeiten des Krieges und der solidarischen Volksgemeinschaft wurde die neue Doktrin kaum diskutiert. Wenn jetzt aber niemand aufwacht, wird der Krieg bald ein unaufhörlicher sein.

Zuletzt ertönte Kritik am übermächtigen Freund jenseits des Ozeans, der laut "Zeit"-Dossier den Herren Fischer und Schröder 15 Minuten Zeit gab, sich für NATO-Angriffe und gegen die UNO-Charta zu entscheiden. Keiner wundert sich, daß Fischer und Schröder zustimmten. Aber aus dem amerikanischen Übergewicht wollen die Europäer nun Lehren gezogen haben - sie basteln nun an einem eigenen Militärblock. "Nicht die Stärke Amerikas ist das Problem, sondern unsere Schwäche", erkannte die Strategen der Westeuropäischen Verteidigungsunion WEU. So ist also nicht die Gewalt das Problem, sondern daß wir weniger bereit dazu sind? Jetzt wird bald wieder richtig aufgerüstet.

1989 hieß es, endlich hätte die Freiheit gesiegt. Längst aber ist diese Chance auf Freiheit in den Triumph der Bedenkenlosigkeit ausgeartet. Die NATO - also wir alle - sitzt auf einem hohen Roß. Dieses, die Moral, ist an sich gewiß untadelig. Aber die Helden darauf werden apokalyptischen Reitern immer ähnlicher. In einigen Jahren wird man uns fragen, was wir gegen diese Entwicklung getan haben. Tun wir nichts, werden wir lernen, daß einmal mehr Gleichgültigkeit vor dem Fall gestanden hat. Wir dürfen uns nicht mißbrauchen lassen.

Stefan Melle

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