Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Leben in einer vergessenen Welt

Über die Bukowina und Volker Koepps Dokumentarfilm "Herr Zwilling und Frau Zuckermann"

SCHWARZ,
wie die Erinnerungswunde
wühlen die Augen nach dir
in dem von Herzzähnen hell-
gebissenen Kronland,
das unser Bett bleibt:


Zeit seines Lebens sehnte sich Paul Celan zurück in die Heimat, in der "Menschen und Bücher lebten". Die Bukowina, das Buchenland, und ihre Hauptstadt Czernowitz waren (nicht nur) geistige Heimat vieler deutschsprachiger Juden. Eine Heimat, die sie eintauschten gegen die Freiheit des Westens und eine immerwährende Unbehaustheit in der Ferne.

Im Gegensatz zu Joseph Roth aber, der die Abwanderung der armen Juden Galiziens beschrieb, hatten die Czernowitzer Juden meist einen wohlhabenden Hintergrund und waren seit Generationen assimiliert. Geprägt war die Czernowitzer Kultur von sprachlich-ethnischer Vielfalt, von Toleranz, aber auch vom Festhalten an den tradierten Grundfesten der jahrelang untergehenden k.u.k.-Monarchie. Wer von dort kam, fühlte sich überall zu Hause, aber nirgends wieder heimisch.

Wie kam es dazu, was war das Besondere an diesem Landstrich im Osten? Bis ins 18. Jahrhundert wurde die Bukowina vom Islam beherrscht, danach war sie 150 Jahre lang das östlichste Kronland der habsburgischen Monarchie. Die Juden wurden als kulturelle Vorhut in den Osten geschickt. Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Bukowina an Rumänien, im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes übernahm sie 1940 die Sowjetunion, 1941 besetzten sie die Deutschen und drei Jahre später kamen die Russen wieder. Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wurde die Bukowina geteilt, den Süden nahm sich Rumänien, der Norden mit der Hauptstadt Czernowitz blieb sowjetisch. Heute gehört das Land der Buchen zur Ukraine. Buchen gibt es allerdings nicht mehr viele. Sie fielen dem nahen Kohlebergbau zum Opfer.

Verblüfft sieht sich der Betrachter so weit im Osten in eine unerwartet westeuropäisch anmutende Umgebung versetzt. So vieles im Stadtbild des heutigen Czernowitz erinnert noch an die österreichische Vergangenheit, aber sie ist nicht mehr greifbar. So bleiben die Häuser und Friedhöfe leblose Bruchstücke einer vergessenen Geschichte. Die Lyrikerin Rose Ausländer beschrieb "ihr" österreichisches Czernowitz als eine "buntschichtige Stadt, in der sich das germanische mit dem slawischen, lateinischen und jüdischen Kulturgut durchdrang... Czernowitz war eine Stadt von Schwärmern und Anhängern. Es ging ihnen, mit Schopenhauers Worten, ´um das Interesse des Denkens, nicht um das Denken des Interesses´... Eine versunkene Stadt. Eine versunkene Welt."

Heute existiert hier eine Art kulturelles Vakuum. Jede Volksgruppe pflegt ihre Tradition. Rumänen und Juden sind kleine Minderheiten. Wenige Jahre dieses Jahrhunderts machten aus der "jüdischsten Stadt Europas" Czernowitz (50000 Juden lebten hier und besuchten mehr als 50 Synagogen) die ukrainische Stadt Cernivizi mit noch 5000 Juden, und fast täglich werden es weniger.

Zu den Ausnahmen, die den Holocaust überlebten und blieben, gehören Herr Zwilling und Frau Zuckermann. Als Herr Zwilling, heute etwa 70 Jahre alt, mit seiner Mutter nach Palästina auswandern wollte, kamen ihnen die Russen zuvor. Schicksal, meint Herr Zwilling, und daß man da nichts machen könne. Der introvertierte, stolze und ein wenig unnahbare Matthias Zwilling ist ein unverbesserlicher Pessimist. Zwar wird es, so beantwortet Frau Zuckermann die Frage nach dem, was kommt, in Zukunft keinen Hitler oder Stalin mehr geben, aber, wirft darauf Herr Zwilling ein: der Winter wird gewiß hart werden. Und: "Ich bin leider ein Pessimist, der fast immer recht hat." Frau Zuckermann, sein optimistisches Pendant, päppelt ihn allabendlich auf mit einem Nachtmahl und Gesprächen über den Tag. Rosa Zuckermann ist 90, lebendig, intelligent, vielseitig interessiert und der Poesie zugetan. Sie kommentiert ihr Leben rückblickend mit wenigen Worten: "Neunzig Jahre lebe ich im 20. Jahrhundert; ein trauriges Fazit". Innerhalb weniger Wochen verlor sie in einem Lager in Transnistrien Mann, Sohn und die Eltern. Geprägt vom jüdischen Leid dieses Jahrhunderts, gesteht sie: "Wenn mir das vor fünfzig Jahren jemand gesagt hätte, daß ich einem Deutschen die Hand reichen würde - ich hätte ihn umgebracht."

Frau Zuckermann verehrt Paul Celan sehr, aber wegen des ganzen jüdischen Leides in seinem Werk gibt sie Rilke den Vorzug.

Ihre Liebe zur Sprache verbindet sie bis zum heutigen Tage mit dem Nützlichen und gibt ausreisewilligen Juden Englisch- und Deutschunterricht.

Die beiden wirken wie eine verlorene Bastion jener versunkenen und durch den Faschismus zerstörten jüdischen Kultur und sind doch ganz liebenswerte Originale in ihrem Pendeln zwischen Gestern und Heute. Frau Zuckermann: "Ich gratuliere Euch, Ihr habt einen neuen Bundeskanzler!"

Etwas abseits der Stadt, im Dorf Waschkutz, besucht Volker Koepp die letzte Jüdin Rosa Liebermann. Die anderen Juden im Dorf wurden vom Neid der rumänischen und ruthenischen (ukrainischen) Nachbarn getötet. Mit-, Neben- und Gegeneinander wechseln schnell.

Frau Liebermann ist eine einfache Frau mit schlichten Wahrheiten. Vor der Kamera sitzend fragt sie: Soll ich lachen? Sie lacht kurz auf und bricht ebenso unvermittelt wieder ab, sagt: "So traurig ist mein Lachen!" Sie hat eine gute Freundin, aber die Einsamkeit bleibt.

Zwischen die Gespräche montierte Szenen ukrainischen Lebens auf dem Lande sind abgeschlossene Gegenbilder zur Welt von Zwilling/Zuckermann und verdeutlichen einmal mehr die ambivalente bukowinische Mischkultur.

Porträthaft ordnet Koepp die Figuren im Bild an, denen dennoch nichts Statisches anhaftet, die in ihrer Würde so natürlich wirken, als sei die Kamera ein vertrauter Gegenstand. Koepp läßt ihnen dafür viel Zeit, er hat sich ihrem und dem Tempo dieser Landschaft angepaßt. Er bleibt dezent in seiner Präsenz, ist einfach da, wartet, kommt wieder. Lange Einstellungen und Schwenks über die Stadt, der Verzicht auf künstliches Licht verraten einiges vom Respekt der Filmemacher (Kamera: Thomas Plenert, Ton: Uve Haußig) und der Zuneigung zu den Menschen und Orten.

Man spürt dem Film an, daß er das Ergebnis einer Entdeckungreise ist. Solches Arbeiten setzt auch nach Jahren routinierten Filmemachens Neugier voraus. Sich überraschen lassen und manchmal treiben. Das Staunen umsetzen in Poesie. Deshalb mag Volker Koepp auch nicht ein zweites Mal am gleichen Ort drehen.

Berit Wich-Heiter

Photo: Filmverleih

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