Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Aufnahmen des Grauens

Eine Dokumentarfilmreihe zum Faschismus im Lichtblick-Kino

An Filmen über die NS-Zeit besteht in dieser Zeit kein Mangel. Doch längst schon hat hier eine Ästhetisierung des Schreckens eingesetzt. Auch der Film über die Vernichtungslager kommt ohne einen spannenden Plot und einen Held oder eine Heldin nicht mehr aus. Besonders gefragt ist der gute Deutsche, mit dem sich die ZuschauerInnen identifizieren können. Schindlers Liste oder Aime und Jaguar sind nur die filmischen Höhepunkte dieses Genres. Die reale Geschichte des Nationalsozialismus, die Täter und die Opfer spielen da schon längst keine Rolle mehr.

Da läßt sich das Kino Lichtblick vom kommerziellen Standpunkt aus gesehen mit der neuesten gemeinsam mit dem kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldtuniversität konzipierten Filmreihe "Bild und kollektives Gedächtnis - Nationalsozialismus und Holocaust im Dokumentarfilm" auf ein gewagtes Unternehmen ein.

Alle Filme stützen sich lediglich auf Originaldokumente und auf das Gedächtnis von ZeitzeugInnen. Die bis Mitte Juli wöchentlich angeboteten 12 Filme sind beileibe kein Sehvergnügen im postmodernen Sinne und eignen auch sich nicht für schnelle Identifikationen. Es macht Mühe sie zu Ende zu sehen, und der Zuschauer bleibt verstört zurück.

Der Einstiegsfilm "Arbeit im Krieg" von Barbara Kasper und Lothar Schuster ist da noch zuschauerInnenfreundlich. Er läßt Beschäftige der Borsigwerke, einer Rüstungsschmiede in Berlin-Reinickendorf zu Wort kommen. Während sich der stellvertretende Betriebsleiter in Herrenmenschenpose selbstgerecht vor der Kamera produziert, wagen es manche der wenigen Überlebenden der Widerstandsgruppe Mannhardt aus Angst vor den Nachbarn nicht, vor die Kamera zu treten. Sie mußten sich auch nach 1945 als VaterlandsverräterInnen beschimpfen lassen.

Nur auf Dokumente der Nazis baut der sowjetische Film "Der gewöhnliche Faschismus" von Michail Romm auf. Bilder von Hitler zujubelnden Deutschen wechseln ab mit von SS-Leuten aufgenommenen Zeichen der Greueln aus den Vernichtungslagern in Osteuropa, die mit Melodien deutscher Schunkelmusik unterlegt ist. Am stärksten ist der Film, wo er mit Worten sparsam umgeht. So wenn Konterfeis in Auschwitz Ermordeter mit dem Satz kommentiert werden: "Sie sind alle vergast worden. Ihre Augen schauen uns immer noch an." Mit "Nacht und Nebel" von Alain Resnais ist ein Pionier des Dokumentarfilms über die NS-Zeit im Programm. Der Film konfrontiert den ausgestorbenen Flecken Auschwitz von 1955 mit dem Vernichtungslager von 1945. Durch die Musik von Hanns Eisler werden die Ungeheuerlichkeiten in eine Distanz gerückt, die ein Nachdenken ermöglichen.

Der Film "Mein Kampf" des deutschen Emigranten Erwin Leiser war 1960 nicht nur in der Filmwelt, sondern auch unter HistorikerInnen eine Sensation. Dem Film ist jahrelange Archivarbeit vorausgegangen. Einige Szenen aus dem Warschauer Getto zeigten ausgemergelte, kranke Menschen. Doch weil die Kamera ihnen ihre Würde nicht nehmen konnte, wagten die Nazis nicht, diese Sequenzen zu zeigen. Sie befürchteten, statt Rassenhass Mitleid auszulösen.

Die polnischen Filmemacher Jerzy Bossak und Waclaw Kazmierczak verwendeten hingegen für ihren Film "Requiem für 5000000" lediglich von den Nazis verwendete Fotos aus dem Warschauer Getto. Der mit Barockmusik unterlegte Film sollte nach dem Willen der Macher Trauerarbeit leisten, was sich ja im Titel auch ausdrückt.

Die Stärke von Claude Lanzmanns Klassiker "Shoah" und Marcel Orphüls "Hotel Terminus" liegt hingegen gerade im völligen Fehlen jedes moralisierenden Kommentars. Auch hier finden wir wieder das Phänomen, daß die überlebenden Opfer oft ihre Berichte weinend unterbrechen müssen, während der Wortschwall der interviewten Täter oft kaum zu bremsen ist.

Peter Nowak

Am 18.05.99 läuft um 17 Uhr "Mein Kampf - Die blutige Zeit", am 25.05. um 18.00 Uhr "Nacht und Nebel" und "Requiem für 500000". Am 1.6., 8.6.,15.6. und 22.6. wird " Shoah" in vier Teilen gezeigt. .Am 6.7 und 13.7. Hotel Terminus. Die Reihe findet im Kino Lichtblick in der Kastanienallee 77 statt.

Photo: Filmverleih

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  Ausgabe 05 - 1999