Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Wider die ästhetische Beliebigkeit

Die Zeitschrift Musik-Konzepte von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn

Es war im "Deutschen Herbst" des Jahres 1977, als Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn die erste Ausgabe der Musik-Konzepte , ein Heft über Claude Debussy, vorbereiteten. Im vergangenen Jahr ist nun die 100. Jubiläumsnummer dieser "Reihe über Komponisten" erschienen. Der monographische Charakter war durch die in der edition text + kritik bereits existierende literarische Parallelreihe vorgegeben und hat sich, wie die Herausgeber meinen, für die Musik-Konzepte durchaus bewährt. Heute erscheinen vier Nummern im Jahr, außer der Reihe gibt es regelmäßig Sonderbände.

Rasch gelang es Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, Kontroversen anzustoßen, auf wichtige, jedoch kaum oder gar nicht beachtete Komponisten aufmerksam zu machen. Mit der Frage "Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?" wurden etwa die Gralshüter der Wagnerei herausgefordert, ein anderer Hefttitel stellte die Frage "Ist die Zauberflöte ein Machwerk?". Giacinto Scelsi und Jean Barraqué sind nur zwei entscheidende Komponisten der Nachkriegszeit, deren Rezeption die Musik-Konzepte maßgeblich befördert haben.

Die Akademie der Künste hat nun das Arbeitsarchiv der Musik-Konzepte von Metzger und Riehn übernommen. Ein abgeschlossenes Projekt ist ihre Reihe aber deshalb noch lange nicht. Das aktuelle Heft 103 bringt Texte aus dem Nachlaß von Hans Rott, von dem Mahler wichtige Impulse empfing, der aber in jungen Jahren in der Psychiatrie endete und heute vergessen ist.

Fortschritt in der Musik?

Was die Musik-Konzepte im heutigen Klima der ästhetischen Beliebigkeit so einzigartig macht, ist die Tatsache, daß sie eine Position vertreten. In einer von falsch verstandenem, alles nivellierendem Pluralismus geprägten musikalischen Landschaft ist das freilich ein Skandalon. Von der Musikästhetik Theodor W. Adornos ausgehend stehen die Musik-Konzepte für eine radikale Moderne und haben sich den fortschrittlichen Komponisten, nicht nur des 20. Jahrhunderts, verschrieben. Metzger und Riehn verfechten die Sache eines Morton Feldman oder José Luis de Del‡s, denken aber nicht daran, ein Heft über Hans Werner Henze oder Steve Reich herauszubringen. Nicht "anything goes" ist ihr Programm, vielmehr stellen die Herausgeber der Musik-Konzepte die Frage, was musikalisch heute überhaupt noch geht angesichts der Vernutztheit aller Formen und allen Materials.

Folgerichtig legten sie im 100. Heft Komponisten und Musikologen die Frage "Was heißt Fortschritt?" vor. Heinz-Klaus Metzger stellt in seinem Beitrag die These auf, daß es Fortschritt in einem ernstzunehmenden Sinne bislang nur in den Künsten gegeben habe. "Was der Kunst fehlt", so Metzger, "ist lediglich die Wirklichkeit." Die anderen Autoren des Heftes können oder wollen diese Fortschrittsemphase nicht teilen. Hans Zender und Ernstalbrecht Stiebler schlagen vielmehr vor, den Blick auf die musikhistorische Vergangenheit produktiv zu machen.

Musikhistorische Aktualität

Das machen die Musik-Konzepte freilich auch. Die wenigsten Hefte sind Komponisten der Gegenwart gewidmet. Einmal, weil es, wie Metzger sagt, gar nicht genügend interessante Zeitgenossen gibt. Zum anderen ist es ein Anliegen der Herausgeber, die Aktualität bestimmter Komponisten der musikhistorischen Vergangenheit zu betonen. Kurz: die Musik-Konzepte fühlen sich den avancierten Komponisten aller Zeiten verpflichtet, widmen zudem auch Hefte den Problemen der Aufführungspraxis Beethovens oder Bachs.

Schließlich wird heute auch die Nachkriegsavantgarde, für die Heinz-Klaus Metzger ein wichtiger theoretischer Vorkämpfer und Begleiter war, Gegenstand der musikhistorischen Retrospektive. Der Anfang des Jahres erschienene Sonderband mit "Darmstadt-Dokumenten" aus den Jahren 1948-1966 leistet selbst einen Beitrag zur Aufarbeitung dieser Zeit. Er versammelt Texte von Komponisten und Theoretikern, die die Darmstädter Ferienkurse für neue Musik maßgeblich mitgestaltet haben: Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono, Pierre Boulez, John Cage, auch die Erstveröffentlichung einer Darmstädter Vorlesung Adornos enthält der Band.

Florian Neuner

Musik-Konzepte erscheint in der edition text + kritik, München. Ein Einzelheft kostet 24 DM. Der 363 Seiten umfassende Sonderband "Darmstadt-Dokumente I" kostet 58 DM.

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