Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wer war´s ?

Schon ulkig, diese anachronistische Attitüde der moralisch grundsätzlich Überlegenen. Verzweifelt rasseln die einsamen Gespenster mit ihren Ketten und rufen heiser: "Hey, erschreckt euch nicht, wir sind´s doch immer noch! Die supersanften Sanso-Ökis!"

Und erst diese groteske Rollenaufteilung: die gouvernantenhaft verkniffene Röstelradcke für die einen, die Protestanten im Geiste, der selbstgefällig barocke Rezzo Schlauch für die andern, die Katholen. Über allem schwebend Fischer, dessen bizarrer Faltenwurf die Selbsterziehung dokumentiert, die Domestizierung des inneren Schlauchs zur inneren Röstelradcke. Ergebnis: ein selbstgefälliger, gouvernantenhaft verkniffener Fischer. Das Barocke, das einzig Sympathische: abtrainiert und ausgehungert. Übrig bleiben Tränensäcke, die Tausenden von Flüchtlingen ein dauerhaftes Obdach böten, machte man sie nur endlich winterfest.

Was für ein Name: Siegmund Gottlieb. Kriegsziel und ideologischer Überbau in einem. Tatsachen sind von solchen Moderatorenmasken kaum zu erfahren.

Moderator: "Und jetzt sehen wir einen Beitrag darüber, wie blöd das ist, wenn man als deutscher Soldat im Krieg ist, und daß das total viel kostet, wenn man mal nach Hause telefonieren will."

Soldat: "Ja, also des isch total schlimm. Hallo, Elke! Ich bin am Samschtag wieder drhoim. Laß scho mal ´s Badwasser ein!"

Moderator: "Ja, Sie haben es gesehen. Schlimm. Bloß gut, daß unsere tapferen Jungs diesen Job für uns tun. Und bevor wir zum Ende kommen, schalten wir noch zu Drago Vicevic in Wien. Herr Vicevic ist Journalist und scharfer Gegner von Milosevic. Trotzdem ist er gegen diesen Krieg. Ja, die Schaltung steht. Schauen Sie, meine Damen und Herrn, so sieht er aus, der Herr Vicevic. Eigentlich ganz normal, nicht? Komisch. Herr Vicevic, ist das richtig, was ich gesagt habe? Ja? Danke, Herr Vicevic. - Liebe Zuschauer, Sie sehen, man kann über diesen Krieg ganz unterschiedlicher Meinung sein, manche Leute sind sogar dagegen."

Die toten Augen von London

Es wird ohnehin immer schwerer, einen Sender zu finden, den man einerseits hören kann, ohne sich andrerseits andauernd wie in der Volkshochschule vorzukommen. Radio Eins (früher: Radio Brandenburg) wird auf Teufel komm raus immer besser gelaunt und plapperiger. Das war Lutz Bertram damals zwar auch, doch der hörte sich wenigstens noch einigermaßen zu bei dem, was er redete. Heute geht das Geschwätz direkt vom Stammhirn ins Mikro, gutgelauntes Tralala "auch und gerade" im Krieg, Kontrollverlust, Schamverlust, weit offen steht die Tür zur Debilität. Radio Reha: Betreutes Moderieren für Soldaten mit Kopfschuß. - Hörerzahlen nicht mehr meßbar, les ich nun. Ein Kollateralschaden der Dünnpfiff-Offensive?

Das Geheimnis der grünen Stecknadel

Bielefeld: von alters her beschworen, befehdet, bezweifelt. Ein Ort, so rätselhaft wie Johannes B. Kerner. Gibt es ihn wirklich? Und wenn ja: warum? Vielleicht ... darum: Damit in der Stunde der größten Erniedrigung dieser an Erniedrigungen nun wirklich nicht armen Stadt ein junger unbekannter Mann hervortritt und - in Gestalt eines Beutelchens roter Farbe - der geschundenen Agglomeration einen Augenblick lang ihre Würde zurückgibt. Das Parteitagsergebnis wird bald vergessen sein. Dieser Moment der Freude bleibt. Lang lebe Bielefeld!
Bov Bjerg

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