Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Fünf Albaner - da zittert die Union

Noch sind die Bezirke nicht zusammengelegt, doch bereits demonstrieren die Fraktionsvorsitzenden der Christdemokraten in Mitte, Wedding und Tiergarten Gemeinsamkeit im künftigen Hauptstadtbezirk. Frank Henkel, Stephan Tromp und Kurt Lauke meldeten sich öffentlich zu Wort. In einem Schreiben an den Senat forderten sie, "keine Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo in Unterkünften in den sozial belasteten Innenstadtbezirken unterzubringen". Eine Aufnahme in den belasteten Stadtteilen "würde die sozialen Probleme vor Ort nur noch weiter verschärfen".

Man höre und staune. Das Kontingent an Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo beträgt für Gesamtberlin 220 Menschen - also noch nicht einmal 10 pro (Klein-)Bezirk. Legt man die Bevölkerungszahl zugrunde, müßte Berlin-Mitte mit seinen rund 80000 Einwohnern gar nur eine fünfköpfige Familie aus dem Kosovo aufnehmen.

Eine einzige Wohnung mit Flüchtlingen verschärft also die soziale Lage im Stadtbezirk so dramatisch, daß sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Henkel genötigt sieht, sich lautstark zu Wort zu melden. Wie heruntergekommen wir hier im Stadtzentrum also schon sind! Und dahin sollen die armen Bonner? Das kann man denen doch wirklich nicht zumuten: eine Wohnung mit Kosovo-Flüchtlingen direkt vor ihrer Nase!

Jetzt wird auch verständlich, warum in der Bundesrepublik Deutschland Deserteure aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien keine Chance auf einen legalen Flüchtlingsstatus hatten. Wie hätten die unsere sozialen Probleme verschärft, wenn wir die auch noch aufgenommen hätten. Rund 200.000 Kriegsdienstverweigerer gab es dort zu Beginn des Krieges Anfang der 90er Jahre und es wären sicherlich noch wesentlich mehr geworden, wenn ihnen nicht die westliche Staatengemeinschaft die Türe vor der Nase zugeschlagen hätte. Wären die damals gleichmäßig auf die NATO-Staaten verteilt worden, wären im Berlin-Mitte vielleicht 50 von ihnen angekommen und hätten die sozialen Probleme schärfer gemacht.

Statt dessen fliegen jetzt NATO-Bomber - und verschärfen die soziale Lage in Serbien. Mit zerstörten Fabriken und zerstörter Infrastruktur wird das Land weit zurückgeworfen. Es entsteht materielle Not. Die Flüchtlinge, die dadurch produziert werden, gelten folglich als Wirtschaftsflüchtlinge und sind illegal. Sie lassen sich nicht so einfach kanalisieren und aufteilen. Viele von ihnen werden nach Deutschland kommen, um hier in der Illegalität etwas Geld für ihre Familien zu verdienen, auch nach Berlin und hier wahrscheinlich vor allem ins Stadtzentrum.

Man kann sich schon denken, was Frank Henkel, Stephan Tromp und Kurt Lauke dazu sagen werden.
christof schaffelder

© scheinschlag 2000
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  Ausgabe 04 - 1999