Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
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Jugendklub wechselt Brötchengeber

Während der Bezirk Mitte bei der Jugendförderung streichen muß, stiftet die WBM eine Sozialarbeiterstelle

Der Name Ikarus erweckt Assoziationen an wagemutiges Fliegen, die Pläne des gleichnamigen Jugendklubs in Berlin-Mitte aber könnten angesichts knapper Haushaltskassen in den märkischen Sand abstürzen. Als größter Jugendklub des Bezirks bietet "Ikarus" Kindern und Jugendlichen vielfältige Aktivitäten, etwa Karate, Mädchenselbstverteidigung, Tanz, Theater, Video, Foto, Fahrten und Kochen für Obdachlose. Rigide Sparmaßnahmen des Bezirks jedoch zwingen inzwischen dazu, auf andere Finanzierungsmöglichkeiten auszuweichen, um den Betrieb des Jugendklubs auf bisherigem Niveau aufrechtzuerhalten.

Allein die Schulen würden 93 Millionen Mark benötigen, wobei der Bezirk Mitte nur 6 Millionen für bauliche Maßnahmen an Jugendklubs, Seniorentreffs, Kitas und Schulen besäße, beschreibt Jugendstadträtin Eva Mendl (PDS) die Situation. Im Stellenbereich muß der Bezirk Mitte weitere Sparvorgaben von 3 Millionen umsetzen. Bei den Sachmitteln ist die Lage ähnlich katastrophal, so daß dort Prioritäten gesetzt werden müssen, was letztendlich zu Streichungen bei den kommunalen Jugendklubs führen würde. Ohne Sachmittel aber, so Eva Mendl, sei eine sinnvolle Jugendarbeit kaum möglich.

Schon nach den Sommerferien könnten erste Einschränkungen bei "Ikarus" greifen, da dem Bezirk von der Senatsfinanzverwaltung eine 50 Prozent-Sperre auf Honorarmittel auferlegt wurde. Doch etwa für die Arbeit des Computerklubs oder der Tanzwerkstatt sind Honorarkräfte unerläßlich. Zur Zeit wird der Jugendklub durch vier Mitarbeiter (eine Sozialarbeiterin, zwei Erzieher, eine Erzieherin) betreut.

Die Stelle der Sozialarbeiterin finanziert die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) seit 1997 als Spende. Anlaß dafür war die dramatische Situation 1996, als der Jugendklub wegen unzureichender Stellenbesetzung zeitweilig geschlossen werden mußte. Jugendstadträtin Eva Mendl sieht darin ein "wirkliches social sponsoring", weil die WBM keine Gegenleistung gefordert habe. Natürlich liegt es aber durchaus im Interesse der WBM, den Bezirk weiterhin für Jugendliche - das heißt auch potentielle Mieter - attraktiv zu gestalten, ziehen doch seit Jahren mehr und mehr Familien mit Kindern aus Mitte weg. Bei der WBM meint man, daß heute, da der Sozialetat der Bundesrepublik nicht mehr aufrechterhalten werde, Sponsoring auch über Kultur hinaus ausgeweitet werden müsse.

Gerade die längerfristige Finanzierung einer Sozialarbeiterstelle legt den Grundstein für eine erfolgreiche Jugendarbeit, die nur möglich ist, wenn die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum ein Vertrauensverhältnis zu ihren Betreuern aufbauen können. Angeboten werden soll ja nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung für Kinder und Jugendliche, sondern auch eine Anlaufstelle, in der auch Probleme mit dem Elternhaus oder der Schule besprochen werden können.

Gern verweist die WBM auf die USA, wo Sponsoring vielfältigster Art zum Alltag gehört. Die Kehrseite davon ist jedoch, daß der Staat aufgibt, sich um alle Kinder gleichermaßen zu kümmern und ihre Versorgung immer mehr der zufälligen Auswahl von Privatprojekten überläßt. Projekte des Jugendklubs mußten bisher noch nicht gestrichen werden, aber Einbußen werden in der Zukunft unvermeidbar sein. Bleibt zu hoffen, daß "Ikarus" seine weiteren Pläne wie bisher verwirklichen kann - ohne das Schicksal des griechischen Sagenhelden zu teilen.
Mareike Meyer

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