Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Vom Frust- zum Lustgarten

Bunte Lämpchen ziehen Schinkel in die Moderne

Der Lustgarten hat´s nicht leicht. Liegt er doch gegenüber dem Schloß, dessen deutlichste Eigenschaft darin besteht, abwesend zu sein - gleichzeitig aber umso kräftiger als Wiederauferstehung durch die Köpfe zu geistern. Und sei es nur in dem Wunsch, an dieser "prominenten" Stelle der Stadt, - wobei je nach Bedarf der gesamte Straßenzug Unter den Linden eingemeindet wird, - der historischen Bedeutung gerecht zu werden. Im wahren Leben ist der Lustgarten der Platz vor dem Alten Museum. Nur zur Erinnerung: Wir schreiben 1999.


Schinkel light

Mittlerweile hat nun der neue "alte" Lustgarten Gestalt angenommen und man kann sich direkt vor Ort fragen: Wohin also die Zeitreise? Die Neugestaltung hatte sich bekannterweise an der alten Schinkelschen Planung zu orientieren, anders wäre in dem chaotischen Planungsprozeß kein Konsens zu erzielen gewesen. Zwei prämierte Entwürfe wurden wieder verworfen. Schinkel als Garant für die Würde des Ortes, so ähnlich muß dann die Erlösung gelautet haben. Allerdings: Reinster Schinkel sollte es nun auch wieder nicht sein, eher eine profanere Version. Oder vornehm ausgedrückt: Man wollte sich eng an die Raumkomposition des Schinkelschen Vorbildes halten. Das ehemals unter Denkmalschutz stehende ungeliebte Pflaster durfte endlich rausgerissen werden, nicht zuletzt, weil sonst die "Allianz-Stiftung zum Schutz der Umwelt" die Hälfte der Gesamtfinanzierung, also 3,5 Millionen, wieder zurückgezogen hätte. Ironischerweise wurden die alten Baumreihen gleich mitgefällt, weil in Berlin immer genau da, wo die Bäume wegmüssen, auch die bösen Gasleitungen verlaufen, die schon längst im Verborgenen gewirkt haben. Außerdem lungerten die rund 50 Linden leider historisch völlig unkorrekt vor den Sichtachsen des Museums rum.

Rasenillusionen

Einzug gehalten haben jetzt Rasenflächen, die zwar nicht von netten Zäunchen gerahmt werden (hier hat man sich mutig von Schinkel verabschiedet), dafür aber seltsam aufgebahrt wurden. Kleine Mäuerchen halten tapfer die Rasenerde über dem normalen Wegeniveau empor. Der Hintergrund für diesen originellen Einfall ist das gestalterische Dilemma: Historie ja und nein. Betrachtet man nämlich von ausgewählten Punkten aus die Gesamtanlage, ziehen sich die Rasenfilets im Blick angeblich zu einer einzigen Grünfläche zusammen. Und siehe, die Schinkelschen Wege gibt es gar nicht! Alles nur ganz normaler heutiger Rasen! Das Nebenprodukt dieser Illusionskunst ist zudem ganz nützlich: So trampelt niemand diagonal seine Abkürzung ins Grün.

Neben diesen neckischen Aha-Erlebnissen für Eingeweihte (fröhliches Suchen der Standpunkte) wird es in Zukunft auch leichtverständliche Lichttherapien für die gebeutelte Berliner Seele geben. Geplant ist, im alten Lindenhain, - gemeint ist der Baumbestand Richtung Zeughaus, - Lampengirlanden um die Äste zu winden, die dann in schwarzer, windiger Nacht schaukelnd an Weihnachten und Biergarten gemahnen. Auch die Stämme werden angestrahlt und selbst der Rasen kommt nicht zu kurz. Launige Spots, die über einen Reflektor sanft und bewegt ihr Licht verteilen, werden sich seiner annehmen. Und in ganz stillen Nächten kommt dann die Fee und berührt einen leicht mit ihrem Zauberstab. Unbestätigt bleibt bisher das Gerücht, daß zum Betreten des Areals filzige Schloßpantoffeln nötig werden. Aber auf jeden Fall sollte man die Bushaltestelle, die jetzt das Gegengewicht zum Alten Museum auf der anderen Seite des Platzes bildet, unter Denkmalschutz stellen. Sozusagen als schon historische Vertreterin der 90er Jahre.

sas

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 04 - 1999