Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
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Die ewige Wiedereinkehr

Thomas Kapielskis alkoholische Theologie

Daß Gottesbeweise ein ziemlich müßiges Unterfangen sind, in hoffnungslosen Aporien enden oder im Krampf, weiß man eigentlich seit Kant. Neben den ontologischen oder den kosmologischen Gottesbeweis wäre aber nun der alkoholische zu stellen. Im "Blauen Affen" findet man nämlich zu Gott. Thomas Kapielski, der "freischaffende Kunsttrinker" aus Neukölln, jedenfalls hat erkannt: "Alkohol ist sogar Ersatz für Gott!" Den Satz müßte man umkehren, aber so weit ist die Säkularisierung in Neuköllns Eckkneipen eben noch nicht fortgeschritten. So wichtig sind dem "Mauvaisvivant" seine theologischen Argumente auch gar nicht. "Wohlgemerkt", schreibt er, "wir haben nichts gegen Intelligenz, aber tagsüber genehmigten wir uns doch lieber ein ordentliches Bier." Und abends ist man sowieso besoffen.

Kurz nach dem zweiten Band ist im Merve Verlag nun der erste mit den Kapielskischen "Gottesbeweisen" erschienen. Nach langen Jahren des Herumspukens im Westberliner Kunstbiotop hat Thomas Kapielski 1994 verkündet, nur noch Bücher schreiben zu wollen, weil er keine Kunst mehr sehen könne. Jeder, der das gegenwärtige, insbesondere Gesamtberliner Kunstwesen kennt, wird ihm das nachfühlen können. Der "Internationale Merve-Diskurs" hat sich mit den Kapielski-Bänden einen schönen, provinziell-berlinischen Akzent genehmigt, wobei provinziell hier ganz und gar nicht despektierlich gemeint ist, in Frontstellung vielmehr gegen das Hauptstadt-Großgekotze und Metropolen-Gehabe, die Verunstaltung und Bedrohung der Stadt durch das Großkapital. Gegen das Neuberliner Yuppie-Gesocks am Hackeschen Markt setzt Kapielski seine "gegenreformatorischen Stamm-tische" und "Getränke Hoffmann". Sogar die FAZ konzediert ihm, ein Warnsignal "inmitten der schönen neuen Hauptstadtambitionen" zu sein. Das haben wir auch nötig.

Aber was macht Kapielski in seinen Texten eigentlich? Ist das Literatur? In der vom Merve Verlag propagierten postmodernistischen Theorie stellt sich diese Frage nicht, also lassen wir das. Kapielski erzählt, obwohl man nicht mehr erzählen kann, und es funktioniert erstaunlicherweise. Der Kunstgriff: es gibt keinen Kunstgriff, keine Konstruktion. Es gibt keinen Erzähler, der sich vermißt, über irgendetwas Bescheid zu wissen - es spricht Thomas Kapielski. Kapielski legt los, scheinbar naiv, als ginge das so einfach, erzählt von seinem Alltag, der in erheblichem Maße geprägt ist vom "Alkoholmißbrauch". Gesoffen wird natürlich auch auf Reisen, und es gibt hübsche, verkaterte Blicke auf Finnland, die DDR, auf München und Hannover. Vieles fließt - im wahrsten Sinne des Wortes! - ein: das Ärgernis der Wiedervereinigung für die Westberliner Boh¸me, der verrottete Zustand des Kunstbetriebs und was einem im Suff eben sonst noch so alles widerfährt, sofern man sich daran überhaupt erinnern kann. Kapielski schreibt sich "den Irrsinn vom Hals","der ganze Schwachsinn draußen"taugt nur als Stoff. Kurz und gut: "Allein Biertrinker wollte ich sein."
Florian Neuner

-Thomas Kapielski: Davor kommt noch. Gottesbeweise IX-XIII. Merve Verlag, Berlin, 1998. DM 24.- -Thomas Kapielski: Danach war schon. Gottesbeweise I-VIII. Merve Verlag, Berlin 1999. DM 24.-

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  Ausgabe 04 - 1999