Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Zubrot

Es läßt sich nicht genau abschätzen: Ist es ein Aufbessern der Sozialhilfe, des Arbeitslosengeldes, der Rente? Müssen einige sogar davon leben? Kann man davon leben? Wieviel verdient man, wenn man Würstchen aus einem umgehängten Heißwasserbehälter verkauft? Die Miete wird mit den Bauchläden eingespart, - eine nicht ganz freiwillige Entscheidung, denn ein fester Stand würde erst gar nicht genehmigt werden.



Die Musikanten in den U-Bahnhöfen beschallen die Gänge, die Mütze oder der Geigenkasten liegen vor ihnen auf dem Boden. Ganz zu Anfang, vor aller Musik, muß bei der BVG ganz profan um eine Genehmigung zum Musizieren angestanden werden, die zudem Geld kostet. Der Gitarrist in den U-Bahnen hingegen arbeitet illegal und muß mit einer Anzeige rechnen.

Für viele scheint die Arbeit auf der Straße zu liegen. Die Spannbreite der Existenzen reicht von bettelnder Dienstleistung bis hin zum Kleinstunternehmertum. Schlichtes Betteln ist mehr und mehr unerwünscht. Wenn schon Geld geben, dann nur gegen Leistung.

Als "klassische" Verkäufer versuchen sich die jahreszeitlich wechselnden Anbieter von Wollmützen, Maiglöckchen und Pfifferlingen. Stumm steht die über 60jährige Frau am Eingang zur U-Bahn. Aber ihr Anliegen ist unmißverständlich: An dem übergroßen grauen Umhang, den sie übergestreift hat, sind unzählige Stricksocken befestigt, jede in einem anderen leuchtend-bunten Muster. Doch die winterlich-dunkel gekleidete Kundschaft beachtet an diesem Morgen die Kollektion kaum. Eilig strebt sie die Treppen hinab in den Untergrund.

Soll sich jeder überlegen, was er oder die Oma so kann? Ob Mutti nicht ein besonders guten Kuchen bäckt oder Onkel Hans, der hat doch so leckere Äpfel im Garten... Wenn das Geld nicht reicht, muß man dann nur Ideen haben?!

Die Autoscheibenputzer haben sich für Dienstleistung entschieden. Den Wasserkanister schleppen sie an die Ampeln mit. Die selbsternannten Parkplatzeinweiser am Bahnhof Zoo, die einen kurzen, nicht sofort zu überblickenden Seitenarm der Fahrspuren zu ihrem Territorium erklärt haben, sind stadtbekannt. Ihre unverhohlene Enttäuschung, wenn`s kein Geld gibt, auch.

Ob an der Tankstelle eine neue Dienstleistung angeboten wurde, war nicht eindeutig zu identifizieren. Der reguläre Tankwart war es zumindest nicht, der dem Autofahrer beim Betanken helfen wollte. Als der Autofahrer die Hilfe ablehnte, verschwand der Mann wieder in der Dunkelheit.

Eine Lobby haben die Einzelkämpfer nicht. Die fliegenden Händler, die den Pariser Platz am Brandenburger Tor aus seiner geleckten Sterilität befreit haben, sind mittlerweile unerwünscht. Dank ihrer Eigeninitiative werden sie schon ein neues Plätzchen finden. Das Großkapital duldet keine Konkurrenz. Banken, Botschaften und Bannmeilen bleiben unter sich.


sas/ib

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