Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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"Es ist eine irrsinnige Arbeit"

Interview mit Peter Boltz, Sozialmanager
im Neuköllner Rollberg-Viertel





Noch während sich Stadtentwicklungssenator Strieder für sein Quartiersmanagement den Kopf heißredete, hatten in Neukölln schon zwei Quartiersmanagement-Projekte ihre Arbeit aufgenommen. Unter Federführung der Wohnungsbaugesellschaft "Stadt und Land" wurde ab Oktober letzten Jahres im Rollberg-Viertel und in der High-Deck-Siedlung das Instrument zur Steigerung der Lebensqualität in sogenannten Problemvierteln erprobt. Das Rollberg-Viertel ist ein größtenteils in den siebziger Jahren im Zuge einer Kahlschlagsanierung entstandenes Neubaugebiet des sozialen Wohnungsbaus (1. Förderweg). Von den 6000 Einwohnern, die im Viertel zwischen Karl-Marx- und Hermannstraße leben, sind 33 Prozent Ausländer. Ihr Anteil ist bei einer jährlichen Fluktuation von 15 Prozent weiter steigend. Ein Drittel der Zuziehenden sind Sozialhilfeempfänger.
Nach dem ersten halben Jahr sprachen wir über die Erfahrungen mit dem Quartiersmanagement im Rollberg-Viertel mit Peter Boltz, der als Sozialmanager bei "Stadt und Land" arbeitet.

Wie ist das Rollberg-Viertel zum Quartiersmanagement-Gebiet geworden?
Die Bauverwaltung untersuchte 27 Sozialbau-Gebiete nach den drei Kriterien Fluktuation, Ausländer- und Fehlbelegeranteil, wobei das Rollberg-Viertel in die höchste Kategorie fiel. Wir interessierten uns heftig für das Quartiersmanagement und bekamen es dann auch.
Wie wird die Arbeit im Rollberg-Viertel organisiert?
Seit 1. Oktober gibt es hier im Gebiet zwei Stellen. Diese zwei Sozialwissenschaftlerinnen haben sich erstmal ins Gebiet "reingefunden", sich vertraut gemacht und Kontakte aufgebaut. Dieses Jahr werden eineinhalb Stellen finanziert. Im Rollberg gibt es schon relativ viel an sozialen Strukturen und freien Initiativen. Da ist die Vernetzung und die Koordination schon recht gut. Es gibt hier zum Beispiel eines der beiden Berliner Gewaltpräventionsprojekte, das zum ersten April allerdings ausläuft. Außerdem sind wir Teil des Territorialen Beschäftigungspaktes in Neukölln. Wir beschäftigen uns seit einem Jahr konkret mit den Arbeitsmarktproblemen. Da sind wir im Gebiet relativ weit.
Die Wohnungsbaugesellschaft ist der Träger all dieser Maßnahmen?
Nein, aber wir stellen die Räume kostenlos zur Verfügung und begleiten das dann, das heißt wir sprechen die Mieter an, schlichten in Konflikten etc. Bei den Arbeitsgeschichten ist das intensiver, weil wir die Arbeit liefern und zum Teil auch bezahlen.
Welche Projekte laufen in diesem Bereich?
Beispielsweise beseitigten zwölf junge Arbeitslose Graffiti. Sie gestalteten Erdgeschoßzonen, wobei einige meinen, das sei nicht so gelungen. Viele Mieter freuen sich aber über das Ergebnis. Die Leute waren sinnvoll beschäftigt. Es war gar nicht so einfach, Arbeitslose zu finden, die sich künstlerisch betätigen. Es sind fast ausschließlich Leute aus dem Gebiet, eine schwierige Multikulti-Truppe. Wir haben die Flächen zur Verfügung gestellt und das Material bezahlt. Und erstaunlicherweise sind die Wände jetzt, nach einem Dreivierteljahr, immer noch im gleichen Zustand. Das ist schon ein Erfolg. Ein zweites Projekt ist, daß bei unseren Gartenpflegefirmen je zwei Leute aus dem Gebiet als ABM-Kräfte mitarbeiten. Außerdem versuchen wir jetzt ganz massiv, bei Wärmedämmungen oder bei Umbauten in den Außenanlagen Leute aus dem Gebiet mitzubeschäftigen.
Geht das nicht auf Kosten von regulären Arbeitsplätzen?
Na ja, das ist natürlich immer die Grunddiskussion. Diese Frage haben wir im Moment ständig, und da gibt es auch ernsthaften Ärger. Beispielsweise der Malermeister, der bisher von uns beschäftigt wurde und jetzt sieht, daß die ABM-Leute bei uns die Hausflure streichen. Es geht den Firmen schon an die Existenz. Wir sind da schlichtend zugange, aber das ist nicht einfach.
Sie sagten, die Arbeit des Quartiersmanagers bestünde zu 80 bis 90 Prozent aus Bürokratie und Vernetzung.
Das Problem in Berlin ist, daß es kein kiezbezogenes Verwaltungshandeln gibt. Es ist immer ressortbezogen und überregional angesiedelt. Es ist eine irrsinnige Arbeit, die verschiedenen Ämter und Akteure in so einem Gebiet zu koordinieren. Das steht ja auch in den Strieder-Ausschreibungen immer so locker drin, aber das ist nicht so einfach, weil die Konkurrenz unter den Akteuren ziemlich stark ist. Das ist schon ein ernstes Thema für den Quartiersmanager: Bringt er die Leute dazu, an einem Strang zu ziehen?
Wie sind denn die Bewohner dabei eingebunden?
Die Beteiligungsintensität ist überall sehr gering. Wir erreichen bei einer Mieterversammlung maximal 100 Leute, größtenteils ältere Deutsche. Wir erreichen faktisch keine Ausländer. Das liegt auch daran, daß, wenn sich die Deutschen versammeln, diese relativ ausländerfeindlich sind. Die Stimmung in den Mieterversammlungen ist recht problematisch. Die Grundtendenz ist gegen Jugendliche und gegen Ausländer.
Ein hoher Ausländeranteil bedeutet ja nicht automatisch ein hohes Konfliktpotential.
Die Konflikte sind im Rollberg-Viertel weniger zwischen den Nationen, sondern eher zwischen sozial angepaßten und weniger angepaßten Mietern. Aber es gibt auch massive Probleme zwischen Jung und Alt.
Ist das auch ein Grund für den Wegzug?
Ja. In dem Haus, in dem wir das Jugendprojekt der Gewaltprävention haben, hat sich die Fluktuation verdreifacht. Da haben wir große Probleme: Verdreckung, zerstörte Briefkästen, da pinkeln die Kids in die Ecke, eine alltägliche Zerstörung und unterschwellige Anmache. Es gab keine Gewalttaten, aber die Leute haben keine Lust, durch einen Pulk von Jugendlichen in den Aufzug zu steigen. Das wird auch ganz deutlich als Auszugsgrund genannt.
Gibt es dadurch auch Wohnungsleerstände?
Wenig, wir haben hier relativ wenig Vermietungsschwierigkeiten, das ist ganz erstaunlich. Wir haben eine starke Nachfrage von ausländischen Bewerbern, die lieber hierher ziehen als in die Gropiusstadt.
Meinen Sie, daß man mit den kleinteiligen Maßnahmen des Quartiersmanagements die negative Entwicklung umdrehen kann?
Ich glaub´s eigentlich schon. Wir versuchen genau rauszubekommen, warum die Leute hier wegziehen, dann kann man sich Strategien überlegen. Ein positives Beispiel dafür: Wir haben hier im Gebiet zufällig eine gute Grundschulversorgung, die Regenbogen-Schule, die viele Mieter hier hält. Das führt zum erstaunlichen Phänomen, daß sich deutsche Mieter bei uns bewerben, nur damit die Kinder in diese Schule kommen. Eine gute Schulversorgung ist schon sehr wichtig. Entscheidend ist auch die direkte Nachbarschaft, und da können wir unheimlich viel verändern. Wir haben einzelne Häuser gehabt, wo es nicht mehr möglich war, die Post zuzustellen, weil permanent die Briefkästen kaputt waren. Wenn es uns gelingt, mit solchen kleinen Maßnahmen die Situation zu stabilisieren, dann könnte man zumindest die Fluktuation ein bißchen verlangsamen. Die Leute machen das auch an kleinen Dingen fest. Aber wir werden mit den kleinteiligen Sachen nicht die Arbeitslosigkeit und die Verelendung beseitigen und auch nicht Nord-Neukölln emporreißen.
Interview:

Christof Schaffelder/Jens Sethmann


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